Magazin #35

Das kann noch nicht alles sein

Der ehemalige Fotobuchhändler Markus Schaden macht sich Gedanken über die Präsentations- und Rezeptionsformen von Fotografie – und eröffnet deshalb ein eigenes, temporäres Museum für das Fotobuch.

von – Damian Zimmermann

Diese eine Frage kommt fast immer sofort, wenn man jemandem erzählt, dass Markus Schaden ein eigenes Fotobuchmuseum in Köln eröffnen will: »Ja, hat er denn so viele Bücher?« Um sie gleich zu Beginn zu beantworten: Nein, hat er nicht. Aber die braucht der ehemalige Fotobuchhändler auch nicht. Denn seine Idee eines Museums speziell für und vor allem ÜBER Fotobücher hat kaum etwas mit den gängigen Präsentationsformen der etablierten Ausstellungshäuser zu tun. »Ich will keine Schneewittchensärge, vor denen ehrfürchtige Besucher auf zwei aufgeschlagene Doppelseiten in einer Glasvitrine starren müssen«, sagt der 48-Jährige. Für ihn hat der aktive Umgang mit dem Medium Fotobuch oberste Priorität. Das bedeutet natürlich auch, dass die Bücher in die Hand genommen werden dürfen und sollen. Aber eben nicht nur: Schaden will die besondere Qualität des Mediums individuell herausarbeiten.

Noch herrscht gähnende Leere in der ehemaligen Kupferhalle. Ab August wird dort für zwei Monate ein Museum mit 24 geplanten Ausstellungen eingerichtet. Foto: Jana Dorn
Noch herrscht gähnende Leere in der ehemaligen Kupferhalle. Ab August wird dort für zwei Monate ein Museum mit 24 geplanten Ausstellungen eingerichtet. Foto: Jana Dorn

Denn genau daran krankt es seiner Meinung nach bislang: Um ein Werk nicht zu zerstören, brächten Kuratoren die in einem Buch abgebildeten Fotos meist als gerahmte Ausdrucke an die Wand. Das habe zur Folge, dass in einer Ausstellung nicht mehr die Geschichte und der Erzählfluss im Vordergrund stehen, sondern der einzelne Abzug dominiere. Das mag bei einem Fotografen wie Andreas Gursky vielleicht sinnvoll sein – nicht jedoch für die große Masse der Fotografen und schon gar nicht bei den Künstlern, die in Büchern denken. »Wir müssen darüber nachdenken, ob das Ausstellen von Prints allein tatsächlich schon das Ende der Fahnenstange ist«, sagt Schaden, denn für ihn steht fest: »Das Fotobuch als Ganzes ist das eigentliche Kunstwerk.«

Ein Dilemma, natürlich, denn oft genug sieht man in Ausstellungen aus dem Zusammenhang gerissene Fotografien, die im Buch eine völlig eigene Kraft entwickeln. Um dies zu ändern, müssen die gängigen Präsentationsformen jedoch grundlegend überdacht und ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden – schließlich ist ein Fotobuch weit mehr als bloß die Summe aller darin enthaltenen Fotografien.

In einer ehemaligen Kupferhalle aus den 1950er Jahren inmitten eines alten Industriegeländes im rechtsrheinischen Köln will Schaden seine Vision dieses Fotobuchmuseums für zunächst zwei Monate erlebbar machen. 25 verschiedene Ausstellungen sollen auf den rund 6 000 Quadratmetern zu sehen sein. Aufgeteilt ist das Museum dabei in mehrere »Sektionen«.

Da sind zum einen die PhotoBookStudies, ein von Schaden selbst entwickeltes und erstmals in Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) umgesetztes Konzept zur Visualisierung der Einfluss-, Entstehungs- und Editionsgeschichte einzelner Fotobücher. Dafür nimmt der international gefragte Experte ein Buch buchstäblich auseinander und klebt alle Seiten der Reihe nach auf eine (meist schwarze) Wand. Das ist die Ausgangssituation, von der aus dann Dutzende Links und Pfeile auf die Hintergründe des jeweiligen Buches verweisen, so dass am Ende eine Art Moodboard oder Riesen-Mindmap aus Papier, Kleber und Kreide entsteht.

Mindmapping an der Museumswand: Die »PhotoBookStudies«, didaktische Aufbereitungen von Schlüsselwerken, wie hier Ed van der Elskens »Liebe in Saint-Germain de Prés«. Foto: Frederic Lezmi
Mindmapping an der Museumswand: Die »PhotoBookStudies«, didaktische Aufbereitungen von Schlüsselwerken, wie hier Ed van der Elskens »Liebe in Saint-Germain de Prés«. Foto: Frederic Lezmi

Im August wird unter anderem die erste, 40 Meter lange Studie zu Ed van der Elskens »Liebe in Saint-Germain des Prés« zu sehen sein, aber auch zu Anders Petersens Klassiker »Café Lehmitz«: Dafür bauen Schaden und sein Team einen großen Kubus in die Halle. An der Außenwand zeichnet die PhotoBookStudy die Geschichte des Buches nach, im Inneren wird das Café Lehmitz selbst zu sehen sein – als originalgetreuer 1:1-Nachbau in Schwarzweiß, in dem eine richtige Bar untergebracht wird. Andere Studien beschäftigen sich mit Werken von Stephen Shore, Todd Hido, Susan Meiselas und Daido Moriyama.

Ein zweiter Bereich nennt sich PhotoBookHistory. Darin rekonstruiert Schaden beispielsweise die Ausstellung »Köln 5 Uhr 30«, die der Kölner Fotograf Chargesheimer 1970 auf der Photokina als begehbare Installation seines legendären Buches präsentiert hat. Und auch der jüngst erschienene, dritte Teil der Fotobuch-Bibel »The Photobook: A History« von Martin Parr und Gerry Badger wird ausführlich behandelt.

Eine weitere Sektion ist den NewDocuments gewidmet. Diese behandelt die Konzeptionen aktueller, preisgekrönter Fotobücher wie »The Pigs« von Carlos Spottorno und »Afronauts« von Christina de Middel. Als Ausstellungsarchitektur werden dafür Schiffscontainer genutzt, denn eine weitere Idee des PhotoBookMuseums ist es, die einzelnen »Module« (oder auch alle auf einmal) per Schiff auf Reisen schicken zu können. Veranstalter in Arles, Vevey, St. Petersburg, Los Angeles, Istanbul, Johannesburg und Jakarta sollen bereits Interesse an Kooperationen signalisiert haben.

Freilich: Langfristig will Schaden, dass sein PhotoBookMuseum eine dauerhafte Basis erhält, von wo aus es als Labor, Archiv, Studienort, Infobörse, Kontakthof, Ausstellungs- und Veranstaltungsraum agieren kann. Bis dahin wird das Museum – um im Fotobuch-Jargon zu bleiben – eine Art Dummy bleiben. Inhaltlich und gestalterisch bereits auf höchstem Niveau, aber noch ohne ISBN.

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Damian Zimmermann

Fotograf, Journalist und Blogger. Mit Nadine Preiß macht er das Paareprojekt. 2014 gehört er zum Team der Internationalen Photoszene Köln, welches das Festival völlig neu konzipiert.