Blinde Zeugen im Irak
Wie in keinem Krieg zuvor versuchte das US-Militär die Arbeit von Journalisten und Fotografen während der Kämpfe im Irak zu kontrollieren – man war »embedded«, oder der Job wurde fast unmöglich gemacht. Das Resultat sind Bilder, die oft eine Wirklichkeit ohne Inhalt zeigen.
Text – Gerhard Paul
Das Konzept des »embedding journalism« stelle einen »Kuturwandel« im Umgang des Pentagon mit den Medien dar. Es sei Ausdruck einer neuen Offenheit in der Kriegsberichterstattung. Mit diesen Worten stellte Bryan Whitman, Leiter des »Secretary for media operations« im US-Verteidigungsministerium, im Vorfeld des Irak-Kriegs der Öffentlichkeit das neue Konzept seines Hauses vor.
Die neue Strategie war eine der Reaktionen des Pentagon auf die Kritik der US-Medienkonzerne an dem »Pool«-System des Golfkriegs von 1991, das nur einen kleinen Kreis von ausgewählten Journalisten zum Kriegsschauplatz zugelassen hatte. Zugleich zog es die Konsequenzen aus der Kritik an den technischen Bildern der Gun-Kameras der vorangegangenen Kriege, die eine Identifikation der »Heimatfront« mit den kämpfenden Soldaten erschwert hatten.
Für den Kunsthistoriker Horst Bredekamp artikulierte sich hier eine neue Bildstrategie. Was jetzt versucht werde, sei »eine Beseitigung des verräterischen Glanzes der Simulation durch den Schein einer authentischen Beteiligung«. Durch den mitfahrenden Reporter solle ein scheinbar Mitkämpfender produziert werden, »der sich vom Heroismus der nächtlichen Wüstenfahrt und des Gefechts anstecken lässt und damit in einer hoch technologischen Situation den heroischen Einzelkämpfer wiederkehren lässt«. Ziel sei ein »neuer Heroismus«, mit dem sich die Eventgesellschaft identifizieren solle.
DIE »GROUND RULES« PRÄFORMIEREN DIE PERSPEKTIVEN
Wie 1991 legten »ground rules« detailliert fest, wie und worüber berichtet werden konnte. So großzügig, wie angepriesen, waren sie allerdings keineswegs. Nicht gestattet war z.B. die Weitergabe von Informationen über Zeitpunkt und Ort militärischer Aktionen sowie der Zutritt zu Operationsräumen während laufender Aktionen. Bilder aber, denen der Kontext genommen wird, besitzen keinen Informationswert. Sie fungieren allenfalls als visuelles Füllmaterial. Andere Verbote griffen tiefer in die Berichterstattung ein: Untersagt waren Aufnahmen von Kriegsgefangenen, Verhaftungsaktionen und festgenommenen Personen. Interviews mit und Aufnahmen von Verwundeten durften nur nach Genehmigung der behandelnden Ärzte, der Betroffenen bzw. der Kommandeure gemacht werden. Ähnlich rigide war die Berichterstattung über US-Opfer – auch die Gesichter der Getöteten durften nicht gezeigt werden. Damit waren zentrale Bereiche des Geschehens der Berichterstattung entzogen; sie war so ganz konventionell auf Action- oder Genreszenen festgelegt, die kaum dem Charakter des Krieges entsprachen.
Die etwa 600 »eingebetteten« Fotografen, Kameramänner, Radio- und Zeitungsreporter setzten sich zu 80 Prozent aus Korrespondenten der an George W. Bushs Feldzug beteiligten Staaten zusammen. Die restlichen 20 Prozent kamen aus Ländern, die zu den »Unwilligen« zählten – darunter 30 »embeds« aus Deutschland. Erste Erfahrungsberichte und Analysen der letztlich gar nicht so neuen frontnahen Berichterstattung liegen jetzt vor.
»FRAGMENTED VIEWS«
Die Motive der Journalisten, sich »einbetten« zu lassen, waren unterschiedlich. Für die einen war es »hunger for action«.
Andere – wie der BBC-News-Special-Correspondent Ben Brown – glaubten, an einem historischen Augenblick teilzuhaben. Zudem ließ sich mit den Bildern gut verdienen. Oft mussten die Journalisten sich auch »einbetten« lassen, um überhaupt berichten zu können. Was es dagegen bedeutete, unabhängig zu arbeiten, hat Peter Turnley beschrieben: »Wir kamen an die Grenze zum Irak, wo uns die alliierten Behörden erklärten, für uns sei das Betreten des Kriegsschauplatzes illegal. Wir mussten es anderswie versuchen. Für Leute wie mich wurde damit alles viel schwieriger, weil wir auch für die Versorgung nicht zurück konnten. Ich musste 500 Liter Benzin auf dem Autodach mitnehmen. Zudem erlaubte uns die Armee nicht, nachts neben ihren Camps zu schlafen. So war man als Angehöriger des Westens sehr exponiert. Diese Risiken hielten viele davon ab, unabhängig zu arbeiten. Und darum wurde ein ganzer Teil der Geschichte nicht erzählt.«
Nicht die Zensur war das Problem dieser neuen Form der Kriegsberichterstattung, so Christoph Mangold und Lars Ultzsch in einer Auswertung von Gesprächen mit 16 »embedded correspondents«; sie wäre bei der digitalen Echtzeit-Übertragung auch kaum möglich gewesen. Bereits das Akzeptieren der »ground rules« legte bestimmte Arbeits- und damit Sichtweisen fest, die nicht überschritten werden durften. Hinzu kam die durch die militärische Situation erzwungene Identifikation mit den Soldaten jener Einheiten, denen die Korrespondenten zugeordnet waren und die zugleich ihre Sicherheit gewährleisteten.
Wie in vielen Kriegen zuvor, konnten die Militärs bei den meisten Journalisten mit einer patriotischen Selbstbeschränkung bezüglich dessen rechnen, über was berichtet wurde und über was nicht. Die Faszination der überlegenen amerikanischen Militärtechnologie, das Bewusstsein, an einem historischen Ereignis teilzunehmen, sowie die Nähe zu den Soldaten baute bei vielen den für jede Berichterstattung nötigen Abstand ab. Nur wenigen »embedded correspondents« gelang die Distanzwahrung zu den Soldaten, mit denen sie unterwegs waren, die gleichen Ängste teilten und im selben Lager lebten.
Darüber hinaus sahen sich die Journalisten mit konkreten Erwartungen bzw. Aufträgen ihrer Verleger und Chefredakteure konfrontiert. Brian McQuarrie etwa, »embedded«-Reporter des Boston Globe in der 3. US-Infanteriedivision, wurde von seinen Verlegern beauftragt, Fotos vom »humanen Gesicht« des Kriegs zu liefern. Andere Redaktionen waren vor allem an Action-Bildern interessiert. Demgegenüber waren Aufnahmen von der Schattenseite des Kriegs explizit nicht erwünscht. Dies legen die Ausführungen des CBS-News-Kameramanns Mario DeCarvalho nahe: Während einige Teams geklagt hätten, dass es ihnen untersagt worden sei, über die Gräuel zu berichten und Aufnahmen von toten Irakern und Amerikanern zu machen, sei er mit der Entscheidung von CBS zufrieden gewesen, hierüber nicht berichten zu müssen.
Nicht immer war die Zusammenarbeit zwischen berichtenden Reportern und Militärs konfliktfrei, wie die von Bill Katovsky und Timothy Carlson gesammelten Berichte von 60 »embeds« zeigen. Vor allem in brenzligen Situationen machten diese wiederholt die Erfahrung, dass ihre Anwesenheit nicht erwünscht war. In solchen Situationen, so Joe Eddins, Cheffotograf der Washington Post, habe er den Wagen nicht mehr verlassen dürfen, und Gespräche mit Soldaten seien ihm untersagt worden. Weil er aber darauf bestanden habe, seine Arbeit zu tun, habe man ihn nicht mehr mit Informationen versorgt und ihm schließlich sogar das Satellitentelefon entzogen. Zum Teil sei die Stimmung der Soldaten gegenüber den »embeds« explizit feindselig gewesen.
Die gerade in Kampfsituationen eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten in Verbindung mit dem durch die »ground rules« abgesteckten Handlungsrahmen ließen daher vor allem Bilder eines unproblematischen Vormarsches sowie Genreszenen aus der Etappe entstehen. Jean-Marc Bouju, »eingebettet« bei der 3. Brigade der 101. US-Luftlandedivision, hat seinen Blick auf den Krieg daher selbstkritisch als »fragmented view« bezeichnet. »You’re just like a soldier. You have no transportation of your own, no way to go anywhere independently.« »Embedded or in bed with the Bush administration?«, fragten sich daher selbst amerikanische Kommentatoren.
ACTIONBILDER UND GENRESZENEN
Wie in der fotografischen Kriegsberichterstattung insgesamt dominierten einmal mehr Genreszenen vom soldatischen Alltag: Aufnahmen von US-Soldaten, die sich vor einem der Paläste des Diktators zu einem Erinnerungsbild in Szene setzten, Bilder von alliierten Soldaten bei der Körperpflege, Aufnahmen von Sport treibenden Uniformträgern im Wüstensand, Bilder von der Bergung und Erstversorgung verletzter Kameraden und immer wieder Ruheszenen. Wie ehedem erschien der Krieg verharmlosend als Unterbrechung des bürgerlichen Alltags, als Event und Reise.
Eine zweite Gruppe stellten Action-Fotos dar. Wie in der Kombat-Fotografie vergangener Kriege überwogen Perspektiven, bei denen die Fotografen den Soldaten über die Schulter schauten und damit deren militärischen Blick übernahmen. Ganz wie Robert Capa hielt Time-Fotograf Benjamin Lowy Angehörige der 101. Luftlandeeinheit in scheinbar verwackelten Aufnahmen fest, die während eines Raketenangriffs Schutz suchten, oder lichtete Gilles Bassignacs britische Soldaten beim Abfeuern von Cruise Missiles auf irakische Stellungen ab. Andere Bilder zeigten US-Soldaten beim Einnehmen einer Brücke im Osten Bagdads oder während einer Raketenattacke in ihren Schutzanzügen.
Auch Stern-Fotograf Thomas Hegenbart nahm wiederholt die Perspektive der Soldaten ein, die er auf ihrem Vormarsch begleitete, betrachtete das Geschehen aus dem sicheren Abstand hinter bewaffneten Truppen – wie bei der Festnahmen von Verdächtigten während der Jagd auf Saddam Hussein. Absicht dieser verwackelten und angeschnittenen Bilder war es, eine Ästhetik der »Kriegsberichterstattung unter Feuer« und damit Authentizität zu vermitteln.
Eine weitere Gruppe bildeten Aufnahmen des militärischen Kriegsgeräts, mit denen der »Heimatfront« anschaulich die eigene Überlegenheit vermittelt werden sollte, sowie Fotografien von Soldaten in Rambopose, die Hollywood-Helden gleich für die Kamera posierten. Etliche dieser Aufnahmen entstanden im Gegenlicht der untergehenden Sonne und gaben dem Geschehen damit einen besonderen Glanz. Ihr Erkenntniswert war gleich null.
Die kleinste Bildgruppe stellten Fotografien von Verwundeten und Toten dar. Die meisten dieser Bilder blieben merkwürdig steril, abgesehen von einer Aufnahme Paolo Pellegrins, die die Gesichter von zwei getöteten, in ihren Blutlachen liegenden Saddam-Kämpfern zeigt, die den Betrachter aus weit geöffneten Augen anstarren. Die neue Qualität des Kriegstodes bildete sich in all diesen Aufnahmen nicht ab. »American news consumers«, so der Publizist Eric Boehlert zum Umgang mit dem Kriegstod im Irak, »will have little idea of what happens when the world’s mightiest military power unleashes sustained attacks«.
Unabhängig davon, dass die »embedded«-Berichterstattung wenig neue Perspektiven eröffnete und man über den Krieg letztlich nichts Neues erfuhr, faszinierte das Publikum an dieser Form vor allem das trügerische Gefühl, wie in einer Reality-Show live an einem historischen Ereignis teilzuhaben. Nach einer Untersuchung des Pew Research Center for the People and the Press von Anfang April 2003 fanden 74 Prozent der befragten US-Bürger diese Art der frontnahen Berichterstattung gut oder ausgezeichnet.
»MAN SIEHT MEHR, WEISS WENIGER«
Vor allem europäische Journalisten kritisierten die »embedded«-Berichterstattung. Informationen, so die Neue Zürcher Zeitung, seien mit den Live-Bildern zwar beschleunigt zu den Konsumenten gelangt, aber zu »einem vertieften Verständnis des Geschehens« hätten sie nicht beigetragen. Weil die mitreisenden Korrespondenten die eigentlichen Kämpfe entweder gar nicht sahen oder gewisse Informationen nicht hätten weitergeben dürfen, sei das übermittelte Bild bruchstückhaft und gesäubert geblieben. »Die wichtigsten Hintergründe über das Wann, Wo, Wie etc. dürfen die Journalisten nicht weitergeben«, so der Züricher Bildredakteur Christoph Schumacher. Die Bilder würden zumeist auf ihren illustrierenden Charakter reduziert und dienten lediglich als »dramatisierende Staffage« der Berichterstattung. Vor allem beklagte Schumacher die »Dekontextualisierung der Bilder«. Markus Deggerich von Spiegel online brachte die Kritik auf die Formel: »Man sieht mehr, weiß weniger.« Diese Ambivalenz, dabei zu sein und doch nichts zu sehen, ist auch als »Big Brother«-Effekt bezeichnet worden.
BILD-STÖRUNGEN
Immer wieder lieferten eingebettete Fotografen und unabhängig vom amerikanischen und britischen Militär tätige Freelance-Reporter aber auch Aufnahmen, die das vom Pentagon gewünschte Bild eines sauberen Kriegs und eines »neuen Heroismus« konterkarierten wie die Fotogalerien von Peter Turnley, Tyler Hicks oder Peter Howe in Dirk Halsteads The Digital Journalist. Ihre Aufnahmen sind Gegenbilder zu den gewünschten Fotos eines sauberen, postmodernen Kriegs, der scheinbar nur mehr auf Monitoren stattfindet. Und sie zeigen, dass die Kontrolle der Bilder vom Kriegsschauplatz letztlich nicht funktioniert hat.
Zu fotografischen Ikonen dieser anderen professionellen Sicht auf den Krieg avancierten zwei Bilder, die ganz unterschiedliche Opfer des Krieges zeigten und beide als World-Press-Fotos ausgezeichnet wurden: Yuri Kozyrews Bild des zwölfjährigen Ali Ismail Abbas, der bei einem US-Bombenangriff seine beiden Arme verloren hatte, sowie Jean-Marc Boujus Aufnahme eines seinen kleinen Sohn tröstenden irakischen Kriegsgefangenen, dem man eine dunkle Plastiktüte über den Kopf gestreift hatte.
Dennoch waren es nicht diese Fotografien und auch nicht die schweigsamen Bilder geschundener, zerstückelter und verkohlter Körper oder verängstigter und trauernder Menschen, wie sie James Nachtwey, Peter Turnley und Bruno Stevens so beeindruckend festgehalten haben, sondern die geschwätzigen und die Fantasie inspirierenden Bilder aus Abu Ghraib, die sich als Ikonen ins kollektive Gedächtnis einbrannten und dort ein eigenes Leben zu führen begannen.
Nicht die Aufnahmen der professionellen Kriegsberichterstatter werden künftig mit dem Irakkrieg assoziiert werden, sondern diese Bilder der gedemütigten, nackten Gefangenen im Zellentrakt des Gefängnisses von Abu Ghraib aus der Hand amerikanischer Soldaten selbst. Das ist das eigentlich Neue des Irakkriegs.
Gerhard Paul: Bilder des Krieges – Krieg der Bilder
Wissenschaft trifft Medien: In einer profunden Studie untersucht der Politologe und Historiker Gerhard Paul »die Visualisierung des modernen Krieges«. Ausgehend von den ikonografischen Mustern der Kriegsdarstellung in Malerei und Grafik, nimmt Paul seine Leser mit auf eine Tour d’Horizon der engen Beziehung zwischen Krieg und den Bildmedien Fotografie und Film. Die Dokumentation reicht vom Krim-Krieg (1853–1856) bis zu den Anschlägen des 11. September und den Kämpfen in Afghanistan. Sorgfältig belegt, arbeitet der Verfasser die politische (Selbst-) Funktionalisierung der Kriegsfotografie detailliert heraus und zeigt auf, wie in der Visualisierung des Kriegs analog zur technologischen Veränderung und politischen Einflussnahme spezifische Typen und Genres entstehen.
Paul legt die erste umfassende Analyse zum Thema vor, die bei aller wissenschaftlichen Exaktheit stets sehr gut lesbar ist. Besonders verdienstvoll sind die jedem größeren Abschnitt nachgestellten »Visual Essays«, die seltene wie berühmte optische Belege präsentieren. Eine separate Studie zur Fotografie im Irak-Krieg erscheint in Kürze.
Paderborn/München: Verlag Schöningh/W. Finck 2004.
528 S., 200 Abb., 50 Euro.
Fotosammlungen
Marcel Saba (Hg.) :
Witness Iraq, East Greenwich 2003. Bruno Stevens: Baghdad. Truth Lies Within, Gent 2004.
Portfolios von Peter Turnley, Tyler Hicks und Peter Howe: http://digitaljournalist.org/issue0305
___
Gerhard Paul
promovierte 1984 zum Dr. rer. pol. 1984–1994 Lehrtätigkeit an der FU Berlin, 1990 Habilitation mit der Studie »Aufstand der Bilder«. Seit 1994 Professor für Geschichte an der Universität Flensburg.