Magazin #11

Bilder vom Krieg

Editorial – Bernd Euler

Vietnam, 16. März 1968. Ein Trupp amerikanischer Soldaten unter dem Kommando von Leutnant Calley dringt in das Dorf Song My ein. Unter ihnen ist der Fotograf Ron Haeberle. Was sich dann abspielt, wird als Massaker von My Lai in die Geschichte eingehen; Haeberles Bilder dokumentieren es: GIs, die mit Gewehrkolben auf Familien einschlagen, Mädchen vergewaltigen, Menschen schlimmer als Schlachtvieh töten.

»Der hat doch hier kein Recht, mit dem Fotoapparat zu knipsen und von solchen Vorgängen Bilder zu schießen«, so die verbürgte Aussage eines beteiligten Soldaten. »Der hat doch keine Veranlassung dazu!«

Hatte er nicht? Haeberle erlebte die Situation wie unter Schock, sah »nur aus den Augenwinkeln Körper fallen, aber ich drehte mich nicht um«. Man sieht in seinen Fotos »die Leere von Bildern eines Amateurfotografen, der schon zufrieden ist, wenn überhaupt etwas auf seinen Aufnahmen zu sehen ist. Haeberle nahm sich das Recht, schlechte Fotos zu machen. Er dachte nicht an das Design. Er fotografierte bewusstlos.«

Genauso bewusstlos ging die Weltöffentlichkeit mit den Bildern um: Mehr als ein Jahr lang wurden sie auf dem Markt angeboten und erst am 20. November 1969 gedruckt. Die Fotos von My Lai wirkten wie Öl im Feuer der »Tauben«, sie machten dem Kriegseinsatz der USA den Prozess. Haeberles Dokumente des Massakers waren ein wesentlicher Anstoß für die Abwendung der amerikanischen Öffentlichkeit von diesem Krieg. Von einer solchen Wirkung ihrer Bilder können Kriegsfotografen heute nur noch träumen.

Kuwait, Februar 1991. Eine Gruppe GIs landet spektakulär bei bestem Morgenlicht an der Küste.

Die PR-Chargen der amerikanischen Armee haben ihre Lektion gelernt: Durchtrainierte Soldaten sprinten mediengerecht durch die Gischt. Vom Feind keine Spur, denn die Landung wurde eigens für den Tross der Fotoreporter inszeniert. Keine Toten, kein Grauen – Design pur. Den Rest der Bilder lieferten die Videokameras an Bord der Militärflugzeuge. Der Krieg im Irak fand ohne unparteiische Bild-Zeugen statt. CNN war gleichgeschaltet. Wie Hunde an die Kette gelegt, hielt man die Berichterstatter bis zum Schluss von den Kampfhandlungen fern. Die symbolischen Aufnahmen von ein paar verbrannten Soldaten und Ölquellen in Flammen entstanden im Wettstreit der Agenturfotografen. So verlegt man Frontlinien!

Der serbische Diktator Milosevic hat daraus gelernt. Von seinem Vernichtungsfeldzug gegen die Albaner im Kosovo erfuhr die Weltöffentlichkeit nur aus dem Mund der Flüchtlinge. Gesehen haben wir nur serbische Tote, und daran entzündete sich heftige Kritik am Miltäreinsatz der Nato. Bilder sagen eben wirklich mehr als die Worte zerlumpter Flüchtlinge.

Selbst bis zu den marodierenden Milizen in Osttimor ist diese Medienerkenntnis inzwischen durchgedrungen. Bevor die Helfershelfer der indonesischen Armee ihr grauenvolles Handwerk verrichteten, beschossen sie das letzte sichere Hotel in der Hauptstadt Dili. Die letzten Reporter verließen schon Anfang September hastig das Land.

Ein Krieg ohne Bilder ist unheimlich. Es scheint ihn nicht zu geben, denn es gibt keine Vorstellung vom Grauen. Wie Süchtige brauchen wir die unmittelbaren Bilder vom Krieg, nur dann ist er für uns real. Gleichzeitig werden Kriegsfotos zu Propagandazwecken genutzt, sie sind Ware auf dem Weltmarkt der Bildagenturen; Kriegsfotos werden zu Symbolen des Grauens reduziert, und einmal im Jahr wird ihr Design mit Preisen prämiert. Nur ganz selten sind Fotos vom Krieg das, was sie wirklich sein könnten: Der schreckliche Spiegel vom Abgrund der menschlichen Existenz.