Magazin #08

Aller Anfang ist schwer

Der Fotograf und die Bildredaktion

Text – Winfried Schmidt

Fotodesigner Werner S. hat es sich auf dem Bürostuhl bequem gemacht und wartet: Er will sich und seine Arbeiten dem Fotoredakteur einer großen Sonntagszeitung präsentieren. Trotz der frühen Morgenstunde ist er guter Dinge. Er hat eine Mappe mit seinen schönsten Bildern dabei und fühlte sich jeder Aufgabe gewachsen. Dann kommt der Bildredakteur auf ihn zu. Der will eigentlich seine Arbeit am Schreibtisch beginnen und als erstes die Informationen aus der morgendlichen Konferenz verarbeiten. Fotodesigner S. stellt sich vor und präsentiert seine Mappe. Der Bildredakteur scheint sich allerdings nicht so recht für die Fotos begeistern zu können. Dabei hat S. doch seine eindrucksvollsten, künstlerisch gestalteten Bilder ausgewählt – und die wären bei einem Wettbewerb durchaus preisverdächtig gewesen. Nach einem höflichen, aber kurzen Gespräch wird S. nach Hinterlegung seiner Telefonnummer hinauskomplimentiert. Er kann sich des Gefühls nicht erwehren, hier wohl kaum einen Auftrag zu bekommen.

Was geschehen ist? Ganz einfach – der Fotograf hat fast alle Fehler begangen, die möglich sind: Er hat kein telefonisches Vorgespräch geführt, um Interesse zu wecken und den Bedarf der Redaktion abzuklären. Er ist unangemeldet in der Redaktion erschienen. Er hat die Bildpräsentation nach seinen eigenen Vorstellungen, aber nicht nach den Bedürfnissen der Zeitung ausgewählt. Wer wirklich ins Geschäft kommen will, sollte also nicht so vorgehen. Aber selbst wenn diese Klippen umschifft sind, ist ein Auftrag noch lange nicht sicher. Leider ist es in Bildredaktionen genau wie im übrigen Leben: Es gibt Sympathien, Antipathien und natürlich die »Old-Boys-Connection«. So manche Auftragsvergabe hat nur wenig mit der Qualifikation für eine bestimmte Aufgabe zu tun, sondern beruht einzig auf meist langjährigen Kontakten.

Das bedeutet aber nicht, daß der Newcomer keine Chance hat. Es kommt häufig genug vor, daß der »übliche« Fotograf mit Terminen überhäuft ist. Und dann wird sich die Redaktion gern an eine »Neuen« erinnern, der entsprechende Arbeiten präsentiert und sich korrekt vorgestellt hat. Wenn dann noch gute Qualität termingerecht geliefert wird, kann sich schnell eine häufigere Zusammenarbeit ergeben. Ein weiterer »Knackpunkt« kann das Honorar sein. Hat der Fotodesigner doch von den traumhaften Beträgen gehört, die mancher Lichtbildner kassiert. Das Tageshonorar namhafter Fotografen kann tatsächlich mehr als einem normalen Monatsverdienst entsprechen. Doch das sind Ausnahmen, und nur wenige Zeitschriftenredaktionen verfügen über einen Etat, der solch exorbitante Honorare erlaubt. Es empfiehlt sich, den Bildredakteur nach den üblichen Sätzen der Redaktion zu fragen und dann zu entscheiden, ob man dafür den Auftrag übernehmen kann. Wer sich mit den Worten »unter 1000 Mark nehme ich meine Kamera gar nicht erst in die Hand« vorstellt, hat kaum Chancen, jemals einen Auftrag zu bekommen. Selbst wenn ein solches Honorar – manchmal – tatsächlich gezahlt wird.

Wenn es dann schlußendlich doch geklappt hat, ist dies noch nicht das Ende aller Schwierigkeiten: Der Fotograf hat seinen ersten Auftrag erledigt und präsentiert den Kontaktbogen nebst Negativen (oder Dias). Der Bildredakteur ist zufrieden, findet sogar anerkennende Worte und trifft mit dem Fotografen eine größere Bildauswahl. Dabei kristallisieren sich ein paar Motive heraus, die Redakteur und Fotograf gleichermaßen für gut und zur Geschichte passend halten. Der Bildredakteur kann dem Urheber auch schon sagen, wann der Beitrag im Blatt sein wird. Also holt sich der Fotograf am Erscheinungstag schnell ein Exemplar der Ausgabe – und erlebt eine Überraschung: Die Geschichte findet sich zwar in der Zeitung, auch mit Bildern aus der Produktion des Fotografen. Doch die favorisierten Aufnahmen, die er zusammen mit dem Bildredakteur ausgesucht hatte, sind nicht dabei.

Verwirrt fragt er sich, ob er wohl etwas falsch gemacht hat – und sucht Rat beim Redakteur. Der klärt ihn über die Zusammenhänge und Hintergründe auf, die zu der Bildauswahl geführt haben: Beim Umbruch – also beim Gestalten der Zeitungsseite – bestimmt nicht nur der Bildredakteur, welche Fotos genommen werden, sondern auch der Layouter. Zudem haben der Textredakteur und nicht zuletzt der Ressortleiter (oder gar der Chefredakteur) ein gewichtiges Wort mitzureden. So kommt es schon vor, daß völlig andere Motive erscheinen, als die, die der Fotograf mit dem Bildredakteur ausgesucht hat. Manchmal werden sogar noch Bilder aus anderen Quellen hinzugefügt.

Das mag zwar enttäuschend sein, ist aber ein ganz normaler Vorgang, der tagtäglich in allen Redaktionen abläuft. Der junge Fotodesigner sollte sich dadurch keinesfalls entmutigen lassen. Es braucht Geduld, Stehvermögen und planvolles Vorgehen, um seine Fotos in Redaktionen unterzubringen. Wenn dann die Bilder zum ersten Mal gedruckt erscheinen, hat der Fotograf einen wichtigen Beitrag zu einer guten Geschichte geleistet. Und darauf kann er stolz sein.

___
Winfried Schmidt
war Bildredakteur bei der WELT am Sonntag und ist zur Zeit in der Entwicklungsredaktion des Springer Verlages tätig.