Magazin #12

Achtung, [M]anipulation!

Hier ein Schatten zu viel, dort eine Farbe zu schwach? Kein Problem mehr, dank Photoshop & Co. Werden am Monitor aber klammheimlich Personen aus Fotos entfernt, Dimensionen verändert und Perspektiven verfälscht, ist die Grenze des Zulässigen überschritten. Die Kennzeichnung von Bild-[M]anipulationen wird jedoch noch recht unbefriedigend gehandhabt.

Text – Maria Jansen

So einfach geht das: Ein Demonstrant, der mit einem Stock auf eine Absperrung schlägt, wird mit Photoshop weiter nach rechts ins Bild gerückt – und schon hat man das Pressefoto, das ein hartes Vorgehen der Polizei auf eben dieser Demonstration unvermeidlich erscheinen lässt. Denn statt auf der Absperrung landet der Stock nun optisch auf den Nieren eines Polizisten.

Der Fall wurde zum Lehrstück über die Empfindlichkeit der Medienöffentlichkeit gegenüber Bildmanipulationen. Die österreichische Neue Kronen Zeitunghatte mit dem verfälschten Bild am 5. Februar 2000 ihre Wochenendausgabe aufgemacht. Sie berichtete über eine Anti-Haider-Demonstration, auf der die Polizei laut eines Augenzeugen von wenigen Demonstranten mit Obst und Gemüse beworfen wurde und es laut Neue Kronen Zeitung Verletzte gab. In der Online-Ausgabe der österreichischen Tageszeitung Der Standard, die die Veränderung aufgedeckt hatte, entbrannte daraufhin eine Leserdiskussion über die Manipulation von Pressefotos. Nur eine Woche dauerte es da, bis die Neue Kronen Zeitung sich bei ihren Lesern entschuldigte. Das ist eine ungewöhnlich schnelle Reaktion für eine Redaktion, die für die Steigerung der Auflage sonst nicht davor zurückschreckt, sich Klagen beim österreichischen Presserat einzufangen.

Diesmal bemühte sich das Boulevard-Blatt, seine journalistische Reputation zu wahren. »Durch ein äußerst bedauerliches Missverständnis«, ließ die Redaktion ihre Leser auf der Titelseite wissen, »wurde das ursprünglich querformatige Bild spätnachts reprotechnisch so verzerrt, dass der Demonstrant etwas näher bei der Polizei zu stehen schien, als dies tatsächlich der Fall war«; man druckte das originale Reuters-Foto neben dem manipulierten Bild ab und beteuerte: »Die Montage geschah ohne Wissen der Chefredaktion.« Dass die Bildmanipulation ausgerechnet an einem Demonstrationsfoto in dem durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ aufgerüttelten Land erfolgt ist, musste auf Haider-Skeptiker wie eine Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen über eine rechtsextreme Zukunft wirken. Den Verdacht, die Bildberichterstattung wegen ihrer politischen Gesinnung manipuliert zu haben, mochten die Zeitungsmacher scheinbar nicht auf sich sitzen lassen.

Vor allem eins wird durch diesen Fall deutlich: Wer dokumentarisch-publizistische Fotos manipuliert, ohne die Bearbeitung kenntlich zu machen, riskiert seine journalistische Glaubwürdigkeit. Die wichtigsten Interessenverbände im Bereich Fotografie und Journalismus haben sich deshalb bereits im Oktober 1997 darauf geeinigt, Bilder, die nach der Belichtung inhaltlich verändert werden, mit einem [M] zu kennzeichnen (vgl. FreeLens-MAGAZIN 7/1997). Und Reuters, die die Vorlage für die Kronen-Manipulation lieferten, verpflichtet seine Fotografen seit Jahren, sogar Fotos, die für die Aufnahme gestellt wurden, als solche auszuweisen. »Bei unseren Fotografen wäre eine Bildmanipulation ein absoluter Kündigungsgrund«, erklärte Michael Lechel, Bilderchef der Reuters-Niederlassung in Wien, »denn Genauigkeit und Verlässlichkeit sind unser Kapital als weltweit agierender Informationslieferant. Das gilt für Wirtschaftsdaten genauso wie für den Bilderdienst.« Und er betonte: »Wir wollen auch nicht, dass unsere Kunden das machen.« Maßnahmen gegen den Kunden Neue Kronen Zeitung, der das manipulierte Bild als Reuters-Original auswies und damit auch die Agentur in Misskredit brachte, scheinen trotzdem nicht vorgesehen zu sein. Darauf angesprochen, nuschelte Lechel etwas von »Kunden«, was in etwa heißen könnte: Der Kunde ist König.

Wenn seriöse Bildlieferanten allerdings das [M] in der Bildzeile konsequent anwenden, zeigen die Kennzeichnungs-Muffel unter den Kunden von selbst ihr unseriöses Gesicht. Nach der Übereinkunft der Interessenverbände sollen Bilder gekennzeichnet werden, sobald nach der Belichtung Personen und/oder Gegenstände hinzugefügt und/oder entfernt, verschiedene Bildelemente oder Bilder zu einem neuen Bild zusammengefügt oder maßstäbliche und farbliche, inhaltsbezogene Veränderungen durchgeführt werden. Zwei Dutzend namhafte Redaktionen von Amica und Fit for Fun über die Heilbronner Stimme und Süddeutsche Zeitung bis TV-Spielfilm und VDI-Nachrichten haben die Selbstverpflichtung bereits unterschrieben. Im Handelsblatt, in der Zeit, der Taz, dem Tagesspiegel, in DM, Computer Bild, bei der Bildagentur Argus und einigen anderen wurde seitdem immer wieder ein [M] gesichtet. Und nachdem in der Taz Hamburg unbefugt und eigenmächtig von einem Praktikanten manipulierte Bilder ohne [M] gedruckt worden waren, stellte die Redaktion im Dezember 1999 auf einer Doppelseite Original und Fälschung gegenüber und klärte die Leser über die Verfremdung auf.

Ein Blick in Die Zeit vom 10. Februar 2000 etwa macht deutlich, wie sehr ein Leser von der Kennzeichnung und einer aussagekräftigen Bildunterschrift profitiert. »Bandenwerbung im Bundestag?« fragte Die Zeit ihre Leser und veröffentlichte die entsprechende Collage als Blick in eine mögliche Zukunft. Bliebe der Leser dabei im Zweifel, ob Daimler, Siemens, Käfer usw. ihre Werbebanner tatsächlich schon im Bundestag platzieren – er wäre der Möglichkeit beraubt, sich in Ruhe sein Urteil über derartige Werbeformen zu bilden. Aus diesem Grund kennzeichnet auch das Handelsblatt regelmäßig seine Montagen, auch wenn sie augenfällig sind. »Unsere Leser sollen mit Sicherheit wissen, dass wir ihnen keine falschen Informationen verkaufen«, erläutert Bildredaktionsleiterin Annette Wiemer den Standpunkt. »Wenn wir zum Stilmittel der Montage greifen, ist das unsere Interpretation, und eine eindeutige Kennzeichnung sorgt für Klarheit. Wir können von unseren Lesern nicht erwarten, dass sie Montagen mit geübtem Blick stets erkennen.«

Dabei sollte laut Wolfgang Behnken – in seiner damaligen Funktion als Art Director beim Stern einer der ersten Unterzeichner des Memorandums – egal sein, ob in einer Provinzzeitung einer Weinkönigin auf einem Bild die Augen geöffnet, im schweizerischen Blick vom 19. November 1997 eine Pfütze blutrot eingefärbt oder in einer Broschüre der Thüringer Landesregierung von Mai 1998 ein unerwünschtes Transparent aus der Volksmenge entfernt wurde. »Ich würde mich als Fotograf aus Selbsterhaltungstrieb sogar davor hüten, ein missglücktes Bild am Monitor zu retten«, spitzte Behnken vor rund 170 Bildjournalisten des Deutschen Journalisten-Verbandes die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für manipulierte Pressebilder zu. Und er stellte die Gretchenfrage: »Wer sagt denn, dass das Foto der Weinkönigin mit den offenen Augen wirklich das bessere journalistische Foto ist, bloß weil dieses Bild vielleicht die Erwartungen der Leser erfüllt? Guter Bildjournalismus ist doch, wenn jemand berichtet, was er gesehen hat, und nicht einfach ablichtet, was von seinen Auftraggebern vermeintlich erwartet wird.«

Diese Auffassung setzt sich in der deutschen Verlagswelt leider nur langsam durch. In den Produktionsvertrag, den FreeLens mit dem Spiegel ausgearbeitet hat, wurde ein Artikel eingebaut, in dem es heißt: »Der Fotograf erklärt, dass er das Foto nach der Belichtung nicht manipuliert hat.« Ansonsten bleibt die Medienwelt zurückhaltend. Die Verlegerverbände BDZV und VDZ konnten sich bislang nicht zur Unterstützung des Memorandums durchringen. »Wir konnten uns in der verbandsinternen Diskussion nicht auf eine verbindliche Definition einigen, wo die kennzeichnungspflichtige Manipulation anfängt«, erinnert sich VDZ-Jurist Arthur Waldenberger an Diskussionen im Verlegerkreis. Einen Leserschutz »im Sinne der Glaubwürdigkeit der Printmedien in Abgrenzung zu anderen Medien« erachte der VDZ zwar für wünschenswert. Doch eine Verbandsempfehlung habe er nicht aussprechen können. »Wir haben es den Mitgliedern jedoch freigestellt, sich dem Memorandum anzuschließen.«

Der BDZV hingegen lehnt die [M]-Kennzeichnung bislang als inakzeptabel ab. Angeblich befürchten die Zeitungsverleger, dass eine Vielzahl von Fotos unter die Kennzeichnungspflicht fallen würde, da sehr häufig Details verändert würden, was zu einer Verunsicherung der Leser führen könnte. Außerdem sähen sich die Zeitungen nicht in der Lage, ihren Lesern den Sinn der Kennzeichnung zu erklären. Vorgeschoben wirkt diese Argumentation etwa angesichts des Editorials, mit dem Computer Bild – eine von wenigen rühmlichen Ausnahmen – ihre Leser über den Sinn der [M]-Kennzeichnung informiert hat. »Um dem mitunter bierernsten Thema Computer auch eine humoristische Seite abzugewinnen, bearbeitet Computer Bild manchmal Fotos, um sie der ausgeheckten Überschrift anzupassen. Kurzum: Wir möchten auch für Lesespaß sorgen, damit das vermittelte Grundwissen oder die trockenen Textberichte etwas aufgelockert werden. Damit Bilder, bei denen etwas hinzugefügt oder entfernt wurde, sofort zu erkennen sind, kennzeichnet sie Computer Bild ab sofort mit einem [M] (-manipuliert).« So einfach geht das auch.

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Maria Jansen
ist freie Journalistin im Bereich Medien/Fotografie in Hamburg.