Magazin #25

Abdrücken, wenn andere weglaufen

Carsten Peter sucht die extremen Herausforderungen. Der Natur-Fotograf, Biologe und Expeditionsleiter fotografiert in aktiven Vulkanen und Gletscherhöhlen, unter Wasser oder in der Wüste, und am liebsten an Orten, wo zuvor noch nie ein Mensch gewesen ist. Kein anderer deutscher Fotograf veröffentlicht mehr bei National Geographic.

Text – Sibylla Machens

Was wollen denn die vollgepackten Kletterer hier oben mit den Paddeln? Die Bergsteiger, die Carsten Peter und seinem Freund Stefan Glaser am Oberaletschgletscher begegneten, staunten nicht schlecht. In Rucksäcken schleppten die beiden neben einer Fotoausrüstung auch eine Eiskletter- und eine Höhlenausrüstung sowie zwei Schlauchboote. Sie hatten eine Gletschereishöhle entdeckt und wollten sie erkunden. Doch es wurde »ein Desaster«, erinnert sich Carsten Peter. Am Einstieg prasselten Steine herunter. Der mehrere hundert Meter lange Fluss im Höhleninneren war dünn überfroren. Er war weder begeh- noch mit dem Schlauchboot befahrbar.

Als das erste Boot sofort leck schlug und sank, zwängten sich die beiden in das zweite Schlauchboot. Carsten Peter hackte den Weg frei. Stefan Glaser paddelte. »Man weiß nie, wohin so eine Fahrt geht«, aber das ist ganz nach Peters Geschmack. Am liebsten erforscht er schwer zugängliche Orte in abgelegenen Landschaften, wo noch keiner fotografiert hat oder – noch besser – nie ein Mensch zuvor gewesen ist.

»Das Schöne in dieser Gletscherhöhle waren die Strukturen und die unglaublichen Blautöne, die sich je nach Dicke des Eises veränderten«, erzählt Peter. Manche Abschnitte waren von Tageslicht hinterleuchtet. Peter setzte kleine Lichtakzente und war von dem warmen Mischlicht begeistert. »Leider bestand die Höhle aufgrund der Gletscherbewegung nur drei Jahre.« Als er auf dem Rückweg aus der Höhle versehentlich mit dem Schaft eines Eisbeils das Schlauchboot aufritzte, sank es ebenfalls. Carsten Peter und Stefan Glaser trugen unter der Kletterausrüstung Trockensurfanzüge. Die Fotoausrüstung trieb in Tonnen im Fluss. Da die Höhle sehr oberflächennah verlief, entdeckten sie bald eine Spalte für den Ausstieg. So mussten sie nur einen Teil des Flusses zurück schwimmen.

Wo die meisten Menschen umkehren und möglichst schnell das Weite suchen würden, weil sie um ihr Leben fürchten, dort kann man leicht auf Carsten Peter treffen. Aber auch gern dort, wohin andere aufgrund schwieriger Bedingungen niemals gelangen würden. Zum Beispiel in Vulkane. Weltweit gibt es wohl kaum einen aktiven Vulkan, den Peter nicht schon fotografiert hat: auf Island, Java, Reunion und Hawaii, in Italien, der Südsee, in Äthiopien, Tansania, im Kongo oder in Kamtschatka. Outdoor-Aktivitäten sind dabei für ihn kein Freizeitsport, sondern Mittel zum Zweck, um an schwer erreichbare Orte mit besonders eindrucksvoller (Foto-)Perspektive zu gelangen: Geländemotorradfahren in der Sahara und in Saudi Arabien, Fliegen mit dem Gleitschirm oder Ultra-Leicht-Drachen in Zentralasien, Tauchen, Klettern und Canyoning. Als hieße sein Lebensmotto: Je unwegsamer und gefährlicher, um so besser.

WELTWEITE KONKURRENZ

Der naturbegeisterte Fotograf wird deshalb immer wieder als Gefahrensucher und Abenteurer tituliert. Für seine Freunde, die ihn nach etlichen Unfällen meist zwei Mal im Jahr mit Gipsbein sahen, stand schon vor langer Zeit fest: »Du wirst bei deinem Lebensstil den 20. Geburtstag nicht erreichen.« Aber inzwischen ist Carsten Peter 48 Jahre alt, hat zahlreiche Expeditionen geleitet, und weiß heute: »Seine Ziele erreicht man nicht mit Draufgängertum.« Dabei nützen ihm seine Expeditionserfahrungen und ungewöhnlichen sportlichen Fähigkeiten. Heute kann er Risiken vor Ort besser einschätzen, improvisieren und im Notfall blitzschnell reagieren. Doch: »Trotz gründlicher Vorbereitung bleibt bei den Expeditionen stets ein gewisses Restrisiko.« Fast drei Jahre war Carsten Peter den Tornados auf der Spur, bis er seine Reportage mit dem F4-Tornado am 24. Juni 2003 in South Dakota abschließen konnte. Mit diesen Bildern kam er 2004 beim World Press Photo-Wettbewerb im Bereich Natur auf den ersten Platz. »Es war ein wahnsinnig aufwendiges Projekt«, erinnert sich Peter, der drei Jahre lang von National Geographic finanziert wurde. Phasenweise hatte er ein 25-köpfiges Team mit Wissenschaftlern um sich und legte auf der Jagd nach den Stürmen insgesamt 60 000 Kilometer zurück.

Als nach drei Jahren das ganz große Spektakel immer noch fehlte, und Carsten Peter seinen Bildredakteur bei National Geographic um eine Woche Verlängerung bat, stimmte der nur zähneknirschend zu. Die Woche verging. Wieder nichts. »Ich rief ihn noch einmal an und bat um einen einzigen Tag Verlängerung«, berichtet Peter, »in den letzten zwei Tageslichtstunden passierte es dann«. Als ein Tornado mit einer Rotationsgeschwindigkeit von 320 Stundenkilometern die kleine Ortschaft Manchester niederwalzte, Bäume und Telegrafenmasten wie Zahnstocher abknickte, verlässt Peter den Wagen. »Ich war wie immer zu lange draußen«, sagt Peter, »durch das Weitwinkel sah der Tornado so weit entfernt aus«.

Peter hatte eine etwa 45 Kilogramm schwere Sonderanfertigung dabei, ein Gehäuse aus starkem Aluminium und Panzerglas. In diesem »Tinman«, wie das Team das Gehäuse nannte, waren drei Spiegelreflexkameras und eine Videokamera untergebracht. Kurz bevor der Tornado einen unvorhersehbaren, nicht kalkulierbaren Haken exakt zu dieser Stelle schlug, lief Peter – alle Gefahr ignorierend – noch einmal vom Auto zum Gehäuse zurück, um die Vorlaufzeit von zunächst drei Minuten auf eine Minute einzustellen, und ein Fotografierintervall von vier Sekunden zu wählen.

»Die anderen schrien schon die ganze Zeit in ihrer Aufregung, ich solle endlich kommen.« Im Auto, versuchten sie vor dem Tornado herzufahren – in sicherem Abstand, aber noch nah genug, um fotografieren zu können. Carsten Peter hängt aus dem Autofenster, teilweise halb auf dem Autodach. Er fotografiert in höchster Konzentration und Anspannung. Am Steuer sitzt Tornadojäger Gene Rhoden und beschleunigt auf rund 100 Stundenkilometer. »Ich hatte mich im Laufe der drei Jahre bestens präpariert, hatte etliche Fotoausrüstungen geladen mit Filmen unterschiedlicher Geschwindigkeit, so dass ich auf schnell wechselnde Helligkeiten reagieren konnte«, erinnert sich Peter: »Wir waren völlig mit Adrenalin zugeschüttet, wie auf einem Drogen-Trip.« Der Wirbelsturm hatte das Gehäuse 144 Meter weit mitgerissen, die Kameras waren Schrott. Nur zwei Aufnahmen konnte Carsten Peter retten. Bilder, als der Tornado direkt über dem Tinman war. Noch nie hatte jemand so nah Fotos von einem Tornado gemacht.

ANGST IST IMMER DABEI

»Natürlich ist Angst da. Sie ist wichtig, sie ist eine Art Lebensversicherung«, so Peter. In dem Moment, als der Tornado aufzog, überwog jedoch die Faszination, der Adrenalinschub. »Es wirbelten schon Gegenstände über uns durch die Luft. Das sind so intensive Situationen, die durch Mark und Bein gehen«, sagt Peter. Sein Job verlangt Mut, Ausdauer, sportliche Vielseitigkeit, manchmal auch Pfiffigkeit und ein Schuss Unverfrorenheit etwa im Umgang mit russischen Polizeikontrollen oder mit angetrunkenen, bewaffneten Kindersoldaten im Kongo, bei denen er je nach Lage selbstbewusst auftritt oder scherzhaft die Situation zu entspannen versucht.

Dabei ist er kein Einzelkämpfer, sondern viel lieber im Team mit Freunden unterwegs. Und er weiß: »Meine Reportage über Tornados war ein Quotenhit für National Geographic.«

BLITZSCHNELL REAGIEREN

Carsten Peter hat jetzt ein gutes Standing bei National Geographic, die großen Wert auf eigene Erzählweise der Geschichten legen. Wichtig ist es, mit einer innovativen, kreativen Bildsprache eine Geschichte neu zu erzählen. »Man muss immer wieder Grenzen überschreiten«, sagt Peter. Um Aufträge zu ergattern, muss er konkret vorab Bilder beschreiben, die er dann später auch liefern können muss. Denn National Geographic stellt hohe Ansprüche. Hinzu kommen hohe Investitionssummen und die Konkurrenz mit vielen anderen hervorragenden Fotografen aus aller Welt, die um die begehrten Stories streiten. Aber er ist den Druck gewohnt: »Ich mache ausgereifte Konzepte, die gesamte Kalkulation und habe verrückte Ideen.« Zudem habe er die Erzählweise, die National Geographic wünsche, mitlerweile verinnerlicht. Da ist sie wieder, die Kämpfernatur voller Ausdauer und Abenteuerlust, eine, die lange an einem Thema dran bleibt und in die Tiefe geht, wenn andere bereits aufgehört haben. »Ob dann aber auch etwas gedruckt wird, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt.«

Bei manchen Menschen zeichnet sich der spätere Lebensweg schon in der Kindheit ab. »Ich musste mich immer mit aller Kraft gegen meine Eltern durchsetzen, aber ich denke, das hat mich trainiert und auch willensstark gemacht.« Im Alter von 15 bekam er seine erste Kamera, eine Mamiya 500 DTL, eine 35 Millimeter-Kamera, schon mit Messung durchs Prisma.

Sein erstes Bild war eine Makroaufnahme: die Blüte einer Zaubernuss. Zwei Jahre später gelingt dem Fotografie- und Videofilm-Autodidakten die erste Veröffentlichung: Schafe und Wolken.

Das Foto wurde »Bild des Monats« im Fotomagazin, und da es dem Chefredakteur so gut gefiel, hing es als Dauerleihgabe ein Jahr lang in seinem Büro. »Ich ging immer wieder in die Redaktionen und bekam erste Aufträge«, berichtet Peter aus seiner Anfangszeit, »ich merkte, dass ich so Interessantes mit Nützlichem verbinden konnte«. Während seines Biologiestudiums – was schon als Kind sein Ziel gewesen war – erarbeitet er sich seine wissenschaftliche Basis. »Wobei meine Naturbegeisterung nie alleine auf Biologie beschränkt war.«

SENSATIONELLE BILDER

»Es waren während und nach dem Studium finanziell sehr schwierige Jahre für mich«, berichtet der Autodidakt, der heute gut von seiner Fotografie leben kann, »die Anfangszeit war wahnsinnig hart und der Weg bis zu National Geographic weit«. Die Eishöhlenfotos vom Oberaletschgletscher stießen zwar 1994 bei National Geographic auf Gefallen, gedruckt wurden sie nicht.

Doch ein Jahr später fragte die Redaktion bei ihm an, ob er am Thema »Eishöhlen« weitergearbeitet hätte. »Da konnte ich sensationelle Bilder aus Island und Grönland liefern«, freut sich Peter über seinen Türöffner bei National Geographic. »Mir ist es wichtig, neue Einblicke zu schaffen, ohne aber zu manipulieren. Insofern haben meine Bilder etwas dokumentarisches, die pure Dokumentation wäre mir aber zu wenig Herausforderung. Ich will faszinieren mit einer Ästhetik, die die Natur großartig aussehen lässt und den Betrachter immer wieder begeistert.«

Derzeit renoviert Carsten Peter seinen Bauernhof im Süden Münchens und sagt: »Das Zuhause ist mir generell als Ruhepol sehr wichtig, als Ort zum Auftanken, auf den ich mich freue, wenn ich unterwegs bin. Ich betreibe ein Netzwerk mit ziemlich verrückten Freunden, die ausgefallene Sachen machen, bei denen sich manchmal großartige Synergien ergeben.«

Seit bereits zwei Jahren arbeitet er intensiv an einem neuen Projekt, über das er jedoch noch nicht reden darf. Aber auch dabei hat er sein Ziel vor Augen, seine Botschaft: »Die Natur ist immer wieder so faszinierend, auch wenn wir sie als größtenteils erforscht glauben. Ich hoffe, dass ich mit meinen Bildern das vermitteln und dazu beitragen kann, dass die Natur mehr respektiert wird.«

Carsten Peter
Der Abenteurer, Jahrgang 1958, ist Autodidakt und fotobesessen seit seinem 15. Lebensjahr. Wissenschaftliche Grundlage seiner Naturfotografie ist ein Biologiestudium, und oft stehen auch geologische Themen im Fokus seiner Expeditionen. Als Extremsportler gelingen ihm zudem Blicke auf die letzten weißen Flecke unserer Erde. Carsten Peter arbeitet eng mit National Geographic zusammen und publiziert weltweit in namhaften Magazinen. Er wurde u.a. mit dem World Press Preis und dem EMMY-Award ausgezeichnet.
www.carstenpeter.com

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Sibylla Machens
arbeitet als freie Journalistin für Zeitschriften, entwickelt Kundenmagazine und freiverkäufliche Zeitschriften, ist als Dozentin unter anderem an der Deutschen Journalistenschule tätig. Sie lebt in München.