Gender Equality in der Fotografie
FREELENS Geschäftsstelle im Gespräch

»Man muss sich hypersensibilisieren«

»Fotografie – eine Frage des Geschlechts?« heißt das aktuelle Schwerpunktthema von FREELENS. Ein Gespräch mit Lutz Fischmann, Stefanie Rejzek und Paula Kern über die Wichtigkeit des Themas für den Berufsverband und die Frage, welche Konsequenzen es für die konkrete Arbeit der FREELENS Geschäftsstelle hat.
Moderation: Dr. Renate Ruhne

Renate Ruhne: FREELENS hat das Thema Geschlecht zum aktuellen Schwerpunktthema gemacht und hierzu eine Studie initiiert. Was hat euch dazu gebracht, die Geschlechterfrage in der Fotografie genauer unter die Lupe zu nehmen?

Lutz Fischmann: Das war zunächst eigentlich ganz unspektakulär: eine Fotografin, die früher mal im Vorstand war, fragte mich am Telefon »Sag’ mal Lutz, Fotografinnen werden doch in der Fotografie benachteiligt, oder?« Die Frage fand ich interessant. Aber das war ja erst mal nur eine These, die es zu überprüfen galt. Grundsätzlich waren wir schnell überzeugt, dass das ein super Schwerpunktthema ist. Aber uns war auch klar, dass wir mehr darüber wissen müssen, um genauer beurteilen zu können, inwiefern sich Geschlechterverhältnisse in der Fotografie tatsächlich auswirken. So fing das an und daraus entstand dann auch die Idee, durch eine fundierte Studie an konkrete Daten zu kommen.

Stefanie Rejzek: Der Anruf war aber nicht der einzige Anlass. Mittlerweile wird ja auch allgemein viel über die Situation von Frauen im Arbeitsleben diskutiert und auch die MeToo-Bewegung zum Beispiel hat viel dazu beigetragen. Und uns war ja auch durchaus aufgefallen, dass wir bisher im Vorstand zum Beispiel kaum Frauen hatten.

Renate Ruhne: Warum kam dieses Thema für FREELENS nicht schon früher auf den Plan?

Stefanie Rejzek: Geschlechterfragen wurden oft schlicht von anderen, scheinbar wichtigeren Themen überlagert – so wie das ja auch im Moment mit der Corona-Pandemie wieder der Fall ist. Vielleicht fehlten uns aber auch einfach Denkanstöße, weil nur wenige Frauen im Vorstand waren. Es hat einfach niemand aufgegriffen.

Lutz Fischmann: Ja, das Thema war bei uns im Berufsverband lange nicht ganz so wichtig. Wir haben uns nicht wirklich tiefgründiger damit beschäftigt. Aber dann ging das sehr schnell. Diesen Effekt hat man ja öfter: wenn man sich erst mal für ein Thema sensibilisiert hat, dann begegnet es einem viel öfter. Man nimmt dann alles mit geschärften Sinnen und viel deutlicher wahr. Man hört aufmerksamer hin, wird angeregt, liest etwas dazu, denkt darüber nach… Ich hatte das Geschlechterthema vorher nicht wirklich tiefer durchdrungen. Inzwischen schauen und hören wir hier alle genauer hin, denke ich.

»Wo seht ihr in eurer Arbeit konkrete Möglichkeiten oder auch Hürden bei der Umsetzung von mehr Gender Equality?« ist eine der Fragen, die Renate Ruhne in den Raum stellt. Foto: Philipp Jonas Reiss

Paula Kern: Ja, und dann fällt zum Beispiel auf, dass die Ausstellungen in unserer Galerie sehr männlich dominiert sind. Zuletzt waren es fünf Männer und eine Frau. Selbst bei der Frage, wer die Ausstellungseröffnungen fotografiert und dokumentiert, fällt auf, dass das bisher überwiegend Männer sind.

Stefanie Rejzek: Auch bei Informationsveranstaltungen, die wir hier für unsere Mitglieder machen, laden wir bisher eher selten Fotografinnen als Expert:innen ein – insbesondere bei Technikthemen: Wenn wir jemand zum Thema Drohnenfotografie suchen, dann ist das auch in unseren Köpfen bisher eher ein Mann. Was ja völliger Blödsinn ist, denn da gibt es ja auch genug Frauen.

Renate Ruhne: Wie erklärt ihr euch das?

Paula Kern: Männer sind in unserem Alltag in der Geschäftsstelle oft einfach präsenter. Hier schauen zum Beispiel immer mal wieder Mitglieder auch spontan auf einen Kaffee vorbei, aber das sind meistens Männer. Und wenn dann die Frage auftaucht: »Wer könnte dies oder das machen?«, dann hat man diese Kollegen einfach eher im Kopf. Wir stecken da gerade in einem Bewusstseinsprozess und müssen uns dann ab und zu quasi gezielt bremsen und uns sagen: »Moment! Jetzt überlegen wir erst mal.« Gerade auch bei Kleinigkeiten können und müssen wir noch viel bewusster auf die Geschlechterfrage achten. Vielleicht sogar aus Prinzip, denn sonst läuft das im Alltag immer so weiter.

Lutz Fischmann: Man muss sich mehr oder weniger hypersensibilisieren für das Thema, um konkrete Veränderungen in der Praxis zu erreichen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema »Fotografie und Geschlecht« hat bei uns schon viel verändert. Aber manchmal fällt man dann doch in alte Muster zurück. Die Veranstaltung zur Drohnenfotografie ist dafür ein gutes Beispiel: Ich kannte da einfach jemanden, von dem ich wusste, der macht das gut und zuverlässig. Das sind ja wichtige Kriterien. Aber Paula hat Recht: Ich mache es mir damit manchmal auch zu einfach.

Stefanie Rejzek: Bis vor kurzem waren wir eben nur so klug wie wir waren und jetzt lernen wir dazu. Das ist letztlich »work in progress«. Und manchmal lassen sich Veränderungen, die wir uns hier in der Geschäftsstelle wünschen, aber auch nur schwer umsetzen. Wir bekommen da von unseren Mitgliedern zum Teil einen ziemlichen Gegenwind. Als wir vor ein paar Jahren eine geschlechtergerechte Sprache, die Frauen nicht mehr ignoriert, in den Texten des Verbandes einführten, gab es zunächst einen ziemlichen Aufschrei, was für einen »Mist« FREELENS da mache. Die Texte wären jetzt nicht mehr lesbar! Und dieser Gegenwind kam erstaunlicherweise nicht nur von Männern, sondern auch von vielen Frauen. Grundsätzlich gibt es da bei FREELENS noch viel Luft nach oben. Das zeigt auch die E-Mail-Kommunikation in der schon legendären »Alle-Liste«. Da herrscht zumindest teilweise ein sehr rechthaberischer, ruppiger Ton…

Lutz Fischmann: …und das sind tatsächlich fast immer Männer. Frauen beteiligen sich hier weit eher mit konstruktiven Beiträgen, das fällt manchmal richtig auf. Bei dieser Hau-Drauf-Kommunikation halten sich Frauen stark zurück. Manche sagen uns das dann auch ganz direkt, dass ihnen das total auf die Nerven geht.

Paula Kern: Der Fairness halber muss man aber dazu sagen, dass dieser Umgangston auch viele Männer stört. Es ist nicht so, dass in der Liste alle Männer nur rumpöbeln und sich nur die Frauen darüber beschweren.

Lutz Fischmann: Das stimmt. Der Ton stört auch viele Männer. Aber man kann da schon einen klaren Geschlechterunterschied feststellen. Grundsätzlich ist diese Liste für den fachlichen Austausch aber sehr, sehr wertvoll. Da gibt es nichts Vergleichbares. Wenn sie dann aber einfach als ein Kanal benutzt wird, auf dem man mal was rauslassen kann, dann ist das kein Austausch mehr, sondern schlicht unhöflich und rotzig.

»Man muss sich mehr oder weniger hypersensibilisieren für das Thema, um konkrete Veränderungen in der Praxis zu erreichen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema hat bei uns schon viel verändert. Aber manchmal fällt man dann doch in alte Muster zurück«, stellt Lutz Fischmann fest. Foto: Philipp Jonas Reiss

Renate Ruhne: Im FREELENS Vorstand waren Frauen bisher stark in der Minderheit: Unter neun Vorstandsmitgliedern gab es maximal ein bis zwei Frauen. Seit der Vorstandswahl im Herbst 2020 hat sich die Geschlechterverteilung hier nahezu umgekehrt: sechs Frauen und drei Männer. Wie kam es zu dieser rasanten Trendwende?

Stefanie Rejzek: Ich denke, da sind zwei Faktoren zusammengekommen. Zum einen haben wir sehr früh für ein breites Spektrum an Kandidat:innen geworben. Wir haben ausführlich über die Arbeit des Vorstands informiert und den Kandidat:innen auch frühzeitig die Möglichkeit gegeben, sich unseren Mitgliedern vorzustellen. Und zum anderen fand die Wahl dieses Mal coronabedingt online statt, so dass ein längerer Vorlauf nötig und aber auch möglich wurde. Vorher wurde der Vorstand immer im Rahmen der Mitgliederversammlungen gewählt. Die Hürde, sich da vor Ort mehr oder weniger spontan zur Wahl zu stellen, ist einfach sehr hoch. Und bei den Treffen kommen »traditionell«, sage ich jetzt mal, auch eher unsere langjährigen Mitglieder aus den Gründungsjahren zusammen.

Paula Kern: Das sieht man auch gut auf den Gruppenbildern der Jahrestreffen: da sind schon auch immer ein paar Frauen vertreten, aber vor allem sieht man nicht mehr ganz junge Männer…

Stefanie Rejzek: …und oft sind das auch immer die gleichen – wogegen grundsätzlich nichts spricht, ganz im Gegenteil! Das Geschlechterverhältnis unter den Teilehmenden spiegelt aber einfach nicht den Prozentsatz der weiblichen FREELENS Mitglieder wider und das ist schade – auch, weil hier eben bisher der Vorstand gewählt wurde.

»Als Berufsverband kann FREELENS eine Plattform für einen offenen kreativen Austausch bieten«, glaubt Stefanie Rejzek. »Wir können Räume und Strukturen anbieten und arbeiten gerade an verschiedenen Ideen, die sich auch während der Coronabeschränkungen realisieren lassen«. Foto: Philipp Jonas Reiss

Lutz Fischmann: Durch das geänderte Wahlverfahren und unsere frühe und transparente Vorbereitung hatten wir dieses Mal dann letztlich 17 Kandidat:innen und darunter sieben Frauen, wovon sechs jetzt im Vorstand sind. Das ist neu und sehr beeindruckend. Ein großer Erfolg – ohne Frage.

Stefanie Rejzek: Das Wahlergebnis zeigt aber auch deutlich, dass bei unseren Mitgliedern ein breiter Wunsch nach einer stärkeren weiblichen Beteiligung da ist.

Paula Kern: Einige haben das auch sehr deutlich zurückgemeldet, dass sie es toll finden, jetzt soviel Frauenpower im Vorstand zu haben. Die Rückmeldungen waren eigentlich durchweg positiv.

Lutz Fischmann: Ja, auch Männer, »alte Männer« haben mir nach der Wahl zum Beispiel gesagt: »Ich habe einfach nur die Frauen gewählt – einfach nur die Frauen!«

Renate Ruhne: Mit seinen knapp 2400 Mitgliedern ist FREELENS ja durchaus ein Player von Gewicht im Feld der Fotografie: Wo seht ihr in eurer Arbeit konkrete Möglichkeiten oder auch Hürden bei der Umsetzung von mehr Gender Equality?

Stefanie Rejzek: Das ist ein sehr großes Thema, zu dem wir nur einen kleinen Beitrag leisten können. Aber grundsätzlich zeichnet sich sehr deutlich ab, dass wir eine Stärkung von Frauen im Verband erreichen müssen. Hier könnten wir noch gezieltere Angebote machen zum Beispiel zum Thema »Selbstbewusstsein« im Job. Das ist auch für Männer oft ein Thema, das ist klar. Bei Frauen erlebe ich es aber häufiger, dass sie äußern, dass das eine große Herausforderung für sie ist: super Inhalte zu liefern, sich den Kund:innen gegenüber kompetent zu präsentieren und dabei auch noch sympathisch rüber zu kommen…

Paula Kern: …was gar nicht heißen muss, dass Frauen hier tatsächlich größere Schwierigkeiten haben. Oft geben sie es vielleicht einfach eher zu als Männer.

Stefanie Rejzek: Auf jeden Fall! Im Moment haben wir aber vor allem das Problem, dass viele unserer Ideen und Initiativen aufgrund der Corona-Situation schlicht nicht umsetzbar sind. Alle Präsenzveranstaltungen müssen aktuell ganz ausfallen. Der direkte Kontakt ist aber oft wichtig. Das hat sich beim Frauen-Initiativkreis, der sich in den Räumen der Geschäftsstelle ein paar Mal getroffen hatte, zum Beispiel sehr deutlich gezeigt. Da wurde ein großes Bedürfnis spürbar, sich mit anderen Kolleginnen über die Höhen und Tiefen des Fotografinnen-Daseins auszutauschen und gemeinsam neue, kreative Ideen und Pläne zu entwickeln. Das Gefühl »Ich bin unter Gleichgesinnten« ist dabei sehr wichtig und das entsteht eher im echten Austausch.

Lutz Fischmann: Grundsätzlich fehlen geschützte Räume, in denen sich etwas Neues entwickeln kann. Dabei geht es dann gar nicht nur um Frauen, sondern auch zum Beispiel um jüngere Mitglieder, Studierende oder vielleicht auch um Fotograf:innen, die bereits in Rente sind. Wir sollten die Idee, solche Räume – in welcher Form auch immer – bei uns zu schaffen, nicht aufgeben. Ganz im Gegenteil! Das würde, denke ich, auf ein breites Interesse bei unseren Mitgliedern stoßen.

Stefanie Rejzek: Die Frauen-Initiativtreffen haben das auf jeden Fall gezeigt und waren sicherlich ein guter Anfang. Als Berufsverband kann FREELENS eine Plattform für einen offenen kreativen Austausch bieten. Wir können Räume und Strukturen anbieten und arbeiten gerade an verschiedenen Ideen, die sich auch während der Coronabeschränkungen realisieren lassen. Langfristig schaffen wir durch die Stärkung von Fotografinnen hier bei uns im Verband dann ja auch wieder Vorbilder für andere Frauen. Kleine Veränderungen bei uns können so vielleicht doch größere Entwicklungen anstoßen.

Renate Ruhne: Lieber Lutz, liebe Steffi, liebe Paula, vielen Dank für das Gespräch!


Dr. Renate Ruhne forscht, lehrt und publiziert als empirisch ausgewiesene Soziologin und Pädagogin zu einem breiten Spektrum an Themenstellungen der qualitativen Sozialforschung, der Geschlechterforschung, der Stadt- und Raumforschung sowie der Bildungssoziologie und Evaluationsforschung. Sie lehrte und forschte an den Universitäten Bielefeld, Hamburg, Kassel, Bochum und Bern sowie an den Technischen Universitäten Braunschweig und Darmstadt. In der Beratungsarbeit profitiert sie nicht zuletzt von einer Ausbildung zum Coach und zur Konfliktbegleiterin/Mediatorin.

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