»Das heißt ja nicht, dass ich meine männlichen Kollegen nicht schätze«
Ist der Fotojournalismus noch immer eine Männerdomäne? Werden Frauen bei bestimmten Themen eher gebucht – bzw. eben nicht? Wie können Familie und Beruf vereinbart werden? Im Rahmen der aktuellen Studie zur Geschlechterfrage in der Fotografie lud FREELENS Ende November 2019 einige Hamburger Kolleginnen zu einem Gespräch ein, um einen Eindruck davon zu bekommen, was Fotografinnen heutzutage im Beruf bewegt. Mittlerweile haben sich diese mehrfach getroffen und ausgetauscht. Die Soziologin Dr. Renate Ruhne sprach mit Maria Feck, Paula Markert und Simone Scardovelli über ihr Engagement und ihre Erfahrungen.
Renate Ruhne: Ihr seid Mitglieder eines Fotografinnen-Initiativkreises bei FREELENS, der sich mit Geschlechterfragen in der Fotografie beschäftigt. Was hat euch motiviert, euch in der Gruppe zu engagieren?
Paula Markert: Das war ja grundsätzlich eine FREELENS Initiative. Aber als ich gefragt wurde, dachte ich spontan: »Klar, das finde ich auf jeden Fall ein interessantes und wichtiges Thema!« – auch wenn ich das, glaube ich, nicht unbedingt selber initiiert hätte. Grundsätzlich hätte es ja auch andere Möglichkeiten, wie z.B. den Female Photoclub, gegeben. Aber das ist eine ganz andere Plattform. Für mich kam der Impuls auch daher, dass das Thema in meinem persönlichen Umfeld gerade viel größer wird. Das zeigt sich in Kleinigkeiten wie, dass in meinem Umfeld mehr gegendert wird. Viele benutzen beispielsweise das Gendersternchen. Jeder findet da so seine individuellen Wege. Und ich rede viel mehr mit Freundinnen und Freunden über Gleichberechtigung bzw. Gendergerechtigkeit. Deswegen hat die Initiative einen guten Moment getroffen – gar nicht ausschließlich beruflich. Im Grunde genommen spielt das Thema ja in allen Lebensbereichen eine Rolle, also sowohl im Privaten, im Familiären als auch im Beruflichen.
Maria Feck: Das glaube ich auch. In der Fotobranche habe ich das Thema in den letzten ein, zwei Jahren sehr stark wahrgenommen. Seither wird z.B. verstärkt thematisiert, dass Frauen, also Fotojournalistinnen und Fotografinnen oft unterrepräsentiert sind. Und ich habe durch diese Diskussionen dann selbst auch vermehrt darauf geachtet. Und den Fotojournalismus – ich mache ja Fotojournalismus – habe ich schon immer so ein bisschen als Männerdomäne wahrgenommen, obwohl es in meinem Studium sogar fast genauso viele Studentinnen wie Studenten gab. Trotzdem waren die Vorbilder, die ich hatte, meistens Fotografen. Fotografinnen, die vielleicht auch total viele und gute Arbeiten gemacht hatten, waren einfach gar nicht so bekannt.
Als ich dann von FREELENS zu einem ersten Treffen eingeladen wurde, hatte ich vor allem eine große Neugier, mal von anderen Kolleginnen zu hören, wie es denen eigentlich geht. Vor allem dieser Austausch war mir ein Anreiz, da mitzumachen. Einfach mal zu hören, wie es anderen Fotografinnen im Beruf so geht. Wie sieht es bei anderen mit Aufträgen aus? Wird man als Frau eher gewissen Themen zugeordnet oder nicht? Wie kommt man klar in dem Beruf? Und auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Kindern und Beruf. Das waren alles Themen, die mich interessiert haben.
Simone Scardovelli: Als die Einladung von FREELENS kam, war mir klar, dass letztendlich nur wir Frauen hier eine Veränderung starten können. Zunächst war mir schon auch der Austausch wichtig, wie du auch gesagt hast. Gibt es z.B. bestimmte Themen, denen wir als Frauen eher zugeordnet werden? Was ist, wenn ich als Fotografin schwanger werde? Mich beschäftigt dabei schon auch die Frage: wie geht es denn eigentlich Männern, wenn sie Kinder bekommen? Aber am Ende sind es ja nicht die Männer, die sagen »Da ist eine Ungerechtigkeit.« Das können und müssen wir sagen. Grundsätzlich ist das Thema heute ja auch allgemein tatsächlich sehr präsent. Ich glaube, früher hat dafür die Wahrnehmung weitgehend gefehlt: es war einfach so, wie es war.
Renate Ruhne: Wenn du sagst »früher«, auf welche Zeit bezieht sich das?
Simone Scardovelli: Vor 20 Jahren, als ich angefangen habe zu fotografieren. Ich bin schon als Studentin bei FREELENS Mitglied geworden und da saßen dann bei den Treffen, auf denen ich war, außer mir nur Männer und alles eher so handfeste Kerle. Es war keine andere Frau da und mir war schnell klar: das ist hier eine Männerdomäne. Ich wusste, ich wollte Fotografin werden, aber ich wusste auch: Fotografie ist eine Männerdomäne und damit muss ich klar kommen.
Renate Ruhne: Setzt eine Frauengruppe hier ein Gegengewicht?
Maria Feck: Auf unseren bisherigen Treffen fand ich es erst mal sehr spannend, dass viele Themen, die uns einzeln interessiert haben, sehr ähnlich waren. Dass viele von uns in bestimmten Bereichen gleiche oder ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Wir sind z.B. sehr schnell auf Honorarstrukturen gekommen. Das war ein Thema, das uns alle beschäftigt hat und das wir nur schwer einschätzen konnten. Oder auch die Erfahrung, dass man als Frau bei der Auftragsvergabe oft bestimmten Themen zugeordnet wird.
Paula Markert: Dazu fällt mir noch eine Anekdote mit einer Redaktion ein. Ich hatte dort angerufen, um ein Thema vorzuschlagen, das zu dem Zeitpunkt ein ziemlich großer Aufreger in den Schlagzeilen war. Ich rief also da an und sagte »Hey, ich würde das gerne fotografieren. Habt ihr schon jemanden? Ich würde das gerne machen.« Und da hat die Bildchefin gesagt: »Ach echt? Traust du dir das zu? Ich hätte da jetzt einen Mann hingeschickt.«
Also, das war jetzt nicht Irak, sondern es ging um Jugendliche. Aber dann fragt man sich natürlich schon erst mal: »Äh? Hab’ ich da irgendwas nicht mitgekriegt? Ist da irgendwas mega gefährlich?« oder: »Hab’ ich da eine komische Selbstwahrnehmung?« Aber dann hab’ ich zum Glück gesagt »Nein, das trau’ ich mir auf jeden Fall zu. Ich will da hinfahren.« Und dann habe ich es auch gemacht. Aber wenn ich jetzt vielleicht fünf Jahre jünger gewesen wäre oder wenn ich mich in dem Moment noch mehr hätte verunsichern lassen, dann hätte ich vielleicht gesagt »Ach so, nee, gut. Du kannst ja nochmal gucken und meld’ dich nochmal« oder so. Ich fand das schon sehr interessant, dass es solche klaren Zuschreibungen noch gibt und das auch heute noch so offen artikuliert wird. Das war ja nicht etwa 1995, sondern das war vor drei oder vier Jahren.
Simone Scardovelli: Grundsätzlich gibt es solche Situationen ja öfter, glaube ich. Ich kenne z.B. auch einen männlichen Kollegen, der mal bei einer Foto-Idee mit einer Großbildkamera von der Redaktion gefragt wurde: »Wie? Kannst du das?«
Paula Markert: Wenn es um Themen wie Gleichberechtigung geht, hört man vor allem von Männern deshalb ja auch oft: »Das kann doch gar nicht sein. Das stimmt nicht. Ich hab’ da die und die Gegenbeispiele. Ich kenn’ die und die Männer, bei denen das auch so ist oder die und die Frauen, bei denen das anders ist.«
Simone Scardovelli: Aber dann konkret zu hören »Da hätte ich jetzt einen Mann hingeschickt«, macht ja klar: Du bist eine Frau und das ist der Grund, weshalb man es dir nicht zutraut.
Ganz allgemein ist ja immer erst mal ein Prozess der Bewusstwerdung notwendig: Warum sind wir als Frauen so oft unterrepräsentiert? Und vor allem auch: Wie können wir stärker werden? Ich glaube, sowohl Männer als auch wir Frauen denken heute oft, alles ist ja eigentlich schon total gleich, ausgeglichen und fair. Aber wenn man genauer hinguckt, sieht es oft doch anders aus.
Renate Ruhne: Ihr hattet zu Beginn des Gesprächs darauf hingewiesen, dass es aktuell auch andere Initiativen gibt, bei denen ihr euch hättet engagieren können. Was bedeutet es für euch, euch hier bei FREELENS zu engagieren?
Simone Scardovelli: Ich habe von FREELENS immer sehr profitiert, vor allem von der Beratung, bei rechtlichen Problemen und bei vielen anderen Fragen, die ich mir selber nicht beantworten kann. Das ist mir sehr wichtig.
Aber z.B. die Weihnachtsessen, diese Treffen, die waren mir immer zu männlich dominiert. Ich habe mich da nicht wohl gefühlt. Ich habe dort nur wenige Frauen getroffen und da habe ich was vermisst. Aber irgendwann hatte sich dort ein Fotografinnen-Tisch zusammengefunden. Und damit wurde es für mich spannender. Ich unterhalte mich gern und teilweise sogar lieber mit Frauen über Fotografie. Das heißt ja nicht, dass ich meine männlichen Kollegen nicht schätze. Ich fände es sehr, sehr schade, die Männer auszuschließen. Aber es tut gut, sich auch mal verstärkt als Fotografinnen bei FREELENS zu besprechen oder auch Veranstaltungen z.B. mit Fotografinnen zu planen, wie wir es angedacht haben in der Gruppe.
Paula Markert: Ich finde FREELENS auch super, da bin ich ganz deiner Meinung. Aber ich glaube, FREELENS hat vor allem ein Nachwuchsproblem, ein richtig großes Nachwuchsproblem. Und ein Imageproblem. Bei jungen Kolleginnen bemerke ich oft, dass da die Wahrnehmung vorherrscht: »Hä? FREELENS? Keine Ahnung – ach ja, da kriege ich meinen Presseausweis.« Von Nachwuchsfotografinnen wird nicht wahrgenommen, glaube ich, dass Berufsverbände wichtig sind. Das Thema Berufsverband gilt ja heute allgemein oft als eher anachronistisch. Das liegt jetzt gar nicht an FREELENS selbst. Die Organisationsform Berufsverband klingt einfach nach 80er Jahre. Es fehlt oft das Bewusstsein dafür, dass hier Lobbyarbeit gemacht wird, dass Rechtsberatung zur Verfügung gestellt wird. Genau das brauchen wir aber alle ständig und gerade für junge Leute hat das eine große Bedeutung. Aber das müsste anders kommuniziert werden, damit es allgemein attraktiver wird.
Maria Feck: Ich habe ja in Hannover studiert und bin auch schon während des Studiums bei FREELENS beigetreten – unter anderem wegen des Presseausweises und auch wegen der Rechtsberatung, ja. Aber auch, weil man hier einfach ein bisschen den Rücken gestärkt bekommen kann. Man weiß: »Dahin kann ich mich wenden, wenn ich ein Problem habe.« Meine Kontaktpunkte hier bei FREELENS sind eher junge Leute, einfach, weil viele ehemalige Studierende aus Hannover hier auch Mitglied sind. Für mich sind vor allem auch die Ausstellungen eine große Bereicherung. Da treffe ich ganz viele ehemalige Kommilitonen, junge Fotografen und Fotografinnen. Aber ich kann das nachvollziehen, wenn ihr sagt, es gibt ein Nachwuchsproblem bei FREELENS. Überwiegend sind hier ja doch eher ältere Semester und auch viel mehr Männer zu sehen. Ab und zu gab es ja zum Beispiel mal einen Abend, an dem jemand seine Arbeiten vorgestellt hat. Das waren dann aber überwiegend ältere Herren, also ältere Fotografen. Deswegen finde ich das auch so wichtig, dass auch junge Fotografinnen hier ihre Arbeiten zeigen.
Simone Scardovelli: Ja, oder auch, wie wir das auch in der Gruppe überlegt haben, dass man eine Gesprächsreihe organisiert, bei der gezielt Frauen, Fotografinnen eingeladen werden, das fände ich nach wie vor total super.
Paula Markert: Ich glaube, dass man als Gruppe bei FREELENS nicht den Anspruch haben kann, alle Bedürfnisse, die es möglicherweise geben kann, zu befriedigen. Aber wir könnten und sollten ein Format etablieren, über das man sich eine gewisse Öffentlichkeit erarbeiten kann. Und das zieht dann vielleicht auch nach sich, dass FREELENS sich allgemein noch ein bisschen anders aufstellt und für ein anderes, breiteres Publikum interessanter wird.
Renate Ruhne: Liebe Paula, liebe Maria, liebe Simone, ich danke euch für das Gespräch!
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Dr. Renate Ruhne forscht, lehrt und publiziert als empirisch ausgewiesene Soziologin und Pädagogin zu einem breiten Spektrum an Themenstellungen der qualitativen Sozialforschung, der Geschlechterforschung, der Stadt- und Raumforschung sowie der Bildungssoziologie und Evaluationsforschung. Sie lehrte und forschte an den Universitäten Bielefeld, Hamburg, Kassel, Bochum und Bern sowie an den Technischen Universitäten Braunschweig und Darmstadt. In der Beratungsarbeit profitiert sie nicht zuletzt von einer Ausbildung zum Coach und zur Konfliktbegleiterin/Mediatorin.