Public Private Hanoi
Die Straße wird zum Wohnzimmer…
Dort, wo die alten Stadtquartiere noch existieren, wirkt Hanoi extrem eng und ruhelos, kein Meter ist hier ungenutzt. Die schmalen Bürgersteige sind von den Anwohnern besetzt, lärmige Motorengeräusche vorbeifahrender Mopedfahrer bilden den Hintergrundsound.
In den molochartigen Labyrinthen ist der Fotograf André Lützen unterwegs, am liebsten dann, wenn die Dunkelheit die Straßen besetzt. Er streift durch die klaustrophobischen Gassen, die in ein halluzinöses Licht getaucht sind, vorbei an den weit offen stehenden Haustüren. Diese gewähren dem Betrachter freizügige Einblicke auf die Bewohner und ihre kargen, manchmal rumplig wirkenden Alltagskulissen aus Möbeln, Elektrogeräten und Zierrat. Hier ein Star-Poster, dort das Konterfei des Revolutionärs Ho Chi Minh.
Hier ein moderner TV-Screen, dort ein improvisierter Hausaltar. Auch abends herrscht noch drückende Hitze, so dass die Bewohner der Enge ihrer fensterlosen Behausungen entfliehen. Das Private dehnt sich wie selbstverständlich in den öffentlichen Raum aus. Eine alte Frau liegt schlafend auf dem Boden, ein Mann lässt sich massieren. Eine Gruppe bereitet Essen, andere spielen auf dem Bürgersteig eine Runde Mahjong. Unsere gängigen Vorstellungen von Intimität scheinen vollständig ausgehebelt.
In Lützens Fotos sedimentieren sich die unterschiedlichen Gegensätze aus Tradition und Moderne, Privatheit und Öffentlichkeit, die noch eine Verstärkung erfahren durch seine klug gesetzten formalen Mittel. Mit seinen Fotos, die eine vibrierende Farbigkeit ausstrahlen, hat André Lützen eine hyperintensive Momentaufnahme einer Stadt und ihrer Bewohner geschaffen, die die Gefühlswelt des Betrachters in einen seltsamen Zustand versetzt.