Interview
Ina Schoenenburg im Gespräch

Stadt, Land, Flucht

Die Berliner Fotografin Ina Schoenenburg arbeitet seit drei Jahren an ihrem Langzeitprojekt »Schmale Pfade«, für das sie Menschen in der Landschaft Brandenburgs porträtiert. Ab dem 5. April zeigen wir diese sowie ihre Serie »Blickwechsel« in der FREELENS Galerie, vorab sprachen wir mit Ina über ihre Arbeit.

INTERVIEW – HANNAH SCHUH & PETER LINDHORST

FREELENS: Du arbeitest an deinen Serien mehrere Jahre. Bist du ein geduldiger Mensch?

Ina Schoenenburg: Geduldig bin ich eigentlich gar nicht. Ich glaube, das liegt eher daran, dass es mir schwer fällt, die Arbeiten abzuschließen. Ich denke dann oft, dass der Arbeit noch etwas fehlt, oder sie noch nicht richtig ausformuliert ist. Ich brauche nicht in kürzester Zeit ein Ergebnis. Ich bin nicht geduldig, aber nehme mir trotzdem die Zeit. Ich denke, eine gute Arbeit kann nur besser werden durch eine intensive Auseinandersetzung mit einem bestimmten Sujet. Unter Zeitdruck ist das nicht möglich.

Die Bilder zu »Schmale Pfade« sind vor allem im Unteren Odertal entstanden. Was suchst du dort?

Ich glaube, es ist die Ruhe. Diese Arbeit war eine kleine Flucht vor der großen Stadt. Als ich angefangen habe, war nicht klar, was ich als nächstes mache. Ich war ein bisschen ausgelaugt, die vorangegangene Arbeit »Flashback« über Soldaten mit einer posttraumatischen Störung war schwierig. Ich habe Geschichten gehört, die mir nahe gingen und die ich so schnell nicht vergessen konnte. Ich lebe zwar schon sehr lange in Berlin, aber die Phasen, in denen mir die Decke nicht auf den Kopf fällt, werden immer kürzer.

Dann bin ich zu meinen Eltern gefahren, die noch nicht lange da wohnten und ging gerne mit ihrem Hund spazieren. Mir ist aufgefallen, wie schön die Umgebung war. Ich war überrascht, hatte ich mich doch vorher selten in Brandenburg aufgehalten. Ich fasste schließlich den Entschluss, dass ich die Landschaft dort fotografieren möchte. Und ebenso Leute, die hier leben, die ein einfaches Leben führen und damit auch glücklich sind.

Aus der Serie »Schmale Pfade«. Foto: Ina Schoenenburg

Ist es wichtig für deine Arbeit, dass Brandenburg ehemalige DDR ist? Hättest du die Arbeit auch im Saarland fotografieren können?

Ich hab die Serie fotografiert, nicht weil es der ehemalige Osten ist, sondern weil mich die Landschaft so angesprochen hat. Ich weiß nicht, wie die Landschaft im Saarland ist. Wenn die mich so ansprechen würde, könnte ich die Bilder da so auch fotografieren. Ich suche immer den Bruch. Saubere, adrette Landschaften interessieren mich nicht so sehr. Das Ursprüngliche hat mir gefallen. Wenn da ein Baum umfällt, bleibt er einfach liegen. Dann verwächst er mit der Landschaft, die Natur holt ihn sich zurück und das finde ich schön.

Generell spielt es natürlich eine Rolle, dass ich Ostdeutsche bin. Ich glaube, dass viele dort in der Gegend mir offener begegnen, weil sie wissen, dass ich einen ähnlichen Background habe.

Du wurdest für die Ausstellung »Der dritte Blick – fotografische Positionen einer Umbruchsgeneration« im Willy Brandt Haus angefragt, deinen Hintergrund als ostdeutsche Künstlerin zu thematisieren. War dir das recht?

Das war in Ordnung. Dennoch habe ich anfangs damit gehadert und mich selbst gefragt, welche Rolle es für mich gespielt hat, im Osten geboren zu sein. War das so wichtig für mich? Ich war zehn Jahre, als die Mauer fiel. Durch die Ausstellung habe ich mich intensiver mit diesen Fragen beschäftigt, viel über mich und meine Kindheit erfahren. Das Aufwachsen in der DDR hat Spuren in meiner Biografie hinterlassen. Zum Beispiel hat es eine große Rolle gespielt, dass meine Eltern in das System eingebunden waren.

Meine Eltern mussten sich erstmal sortieren, als die Mauer fiel. Meine Mutter hat ihren Job verloren, wie es vielen Menschen in der Zeit erging. Sie war komplett orientierungslos. Mein Vater hingegen hat diesen Umbruch gut weggesteckt. Er ist ein Macher, der funktioniert fast immer. Wir sind dann nach Schwerin gezogen, weil er dort in den Landtag einzog. Für mich veränderte sich in kurzer Zeit wahnsinnig viel. Plötzlich war die Mauer weg und ich musste mit dreizehn Jahren in einer fremden Stadt leben. Ich kam auf ein Sportgymnasium, und lebte in einem Internat. Die politischen Veränderungen haben viel Unordnung in unser Leben hineingebracht. Ich weiß noch, dass meine Eltern sich im Gegensatz zu ganz vielen anderen nicht gefreut haben. Das ganze Land feierte und bei uns zu Hause war die Stimmung so: »Mach mal den Fernseher aus«. Ja, das war seltsam.

Aus der Serie »Schmale Pfade«. Foto: Ina Schoenenburg

Man hat das Gefühl, dass »Schmale Pfade« auch von dir, von Wurzeln und Heimat handelt. Es sind Bilder, die Geschichten erzählen, aber es sind letztendlich auch Geschichten über dich.

Ich fotografiere wahnsinnig gerne Menschen in einer weiten unwirklichen Landschaft. Oft ist der Mensch darin nur verschwindet klein. Wie kommt das? Warum reizt mich diese Darstellung so sehr? Die Landschaft ist ein Einsamkeitsmotiv und der Mensch verliert sich in dem großen Raum. Vielleicht ist das ein vertrauter Anblick, mit dem ich mich im Moment des Fotografierens unbewusst auseinandersetze.

Und natürlich, ich höre ab und an, es seien melancholische Bilder.

Romantisch auch?

Romantisch auch. Das liegt daran, dass ich Licht so mag und sehr auf Sonnenlicht achte. Das könnte man auch anders fotografieren.

Du hast gesagt, dass Wolfgang Herrndorfs Buch »Bilder deiner großen Liebe« eine Inspiration für deine Arbeit war. Warum?

Ich liebe literarische Roadmovies, »Tschick« fand ich toll. Ich hab so gelacht.

Isa ist ja eine einsame, ein bisschen schräge Figur in Herrndorfs letztem Roman, die die Landschaft erkundet. Sie ist nicht ortsgebunden, das finde ich schön. Sie läuft auf engen verwachsenen Wegen durch die Landschaft und begegnet bei ihren Wanderungen verschiedensten Leuten. Das ist genau das, was ich gemacht habe. So bin ich auf den Titel gekommen. Ich habe eine ähnliche Stimmung, wie sie in dem Roman vorherrschte, empfunden, als ich unterwegs war. Obwohl ich abends wieder nach Hause gehen konnte, klar.

Aus der Serie »Blickwechsel«. Foto: Ina Schoenenburg

In deiner zweiten, in der FREELENS Galerie präsentierten Serie »Blickwechsel« hast du intime Fotos von deiner Familie gemacht. Kündigst du Fototermine vorher an?

Nein, eigentlich nicht. Bei so grauem Wetter wie heute etwa mache ich selten Fotos. Da wissen sie, sie sind relativ sicher vor mir. Bei meiner Tochter Ennie ist es so, dass sie genau weiß, worauf ich anspringe. Wenn die Sonne rauskommt, sagt sie schon mal: Das Wetter ist gut, wir müssen uns vor Mama in Acht nehmen. Es gibt ein paar Bilder, die ich plane. Dann sage ich, nächste Woche komme ich und möchte das und das machen. Meistens entsteht es aber aus der spontanen Situation heraus.

Erschrecken sich deine Eltern manchmal auch über die Bilder?

Beide haben keinen besonders starken Bezug zu Fotos. Meine Mutter sagt manchmal: »Oh, da sehe ich ja müde aus.« Oder Papa sagt: »Mama, da hättest du deine Haare kämmen sollen.« Aber sie waren noch nie erschrocken. Es gibt ein krasses Foto von meiner Mutter, sie hat nach einer OP einen riesigen Bluterguss am Bein. Die Beine waren komplett blau. Ich habe fotografiert und mich gewundert, dass sie ihr Einverständnis dazu gab. Es ist ein tolles Bild. Aber dann habe ich gezweifelt. Ich möchte sie nicht vorführen.

Es gibt ganz tolle Familienfotografie, die Leute in einer sehr direkten, nicht immer vorteilhaften Art darstellt. Ich muss da zum Beispiel an eine fantastische Serie von Richard Billingham denken. Er lässt uns mit ziemlich krassen Einblicken an seinem Familienleben teilhaben. Das finde ich legitim, möchte meine Eltern aber so nicht zeigen.

An »Blickwechsel« arbeitest du schon sehr lange und die Serie ist immer noch nicht abgeschlossen. Wann wird sie beendet sein?

Bei »Blickwechsel« wäre es der Tod meiner Eltern, das wäre das Ende der Serie. Ich kann dann nicht nur meine Tochter weiter fotografieren. Die Interaktion zwischen uns allen, zwischen jung und alt, spielt eine wichtige Rolle. Es hätte dann kein Gleichgewicht mehr.

Liebe Ina, vielen Dank für diese Einblicke in deine Arbeiten – wir freuen uns auf die Ausstellung!