Fotos & Geschichten
Kollegengespräch

Menschenfotografie vom Feinsten. Ein Besuch bei Verena Brandt

Wer sind eigentlich unsere Mitglieder? Was machen sie so, wie gestaltet sich ihr Alltag und wie kommen sie im sich ständig verändernden Berufsumfeld zurecht? FREELENS berichtet in der Rubrik »Kollegengespräch« in lockerer Folge über die Vielfältigkeit, die Bandbreite der Interessen und Arbeitsgebiete und die persönlichen Geschichten aus dem beruflichen Alltag der Profis. Für den heutigen Beitrag traf Rainer F. Steußloff die Fotografin Verena Brandt in Berlin.

Text – Rainer F. Steußloff

Manchmal sind es die kurzen Begegnungen, die einem noch länger in Erinnerung bleiben. Welche Fotograf*in sollte ich vorstellen, besonders wenn es der Anfang einer längeren Serie werden soll? Sofort fiel mir ein Buch, ein Projekt ein, das ich während des Fotobuchsonntags am Büchertisch der FREELENS Regionalgruppe Berlin im vergangenen Jahr gesehen hatte: »Dividendenbuffet«. Die Fotografin Verena Brandt hatte sich gemeinsam mit der Journalistin Nadine Schmid ein Jahr lang auf Aktionärsversammlungen umgesehen und den Mikrokosmos rund um die Macht des Geldes erforscht. Ungewöhnlich waren die Bilder, ungewöhnlich die Texte.

Verena Brandts Büro ist so ganz typisch für Berlin oder vielmehr Kreuzberg. Eine Bürogemeinschaft von Kreativen im Souterrain. Nicht Hinterhof, das wäre zu viel Klischee. Viel Licht in kleinen Räumen, Küche, Computerarbeitsplätze. Gespannt bin ich immer, wie Fotograf*innen ihre eigene Arbeit in ihrer persönlichen Umgebung zeigen.

Aus der Serie »Superheroize Me«. Foto: Verena Brandt

Auch das überrascht: die wenigen weißen Flächen sind mit Bildern ihrer letzten Arbeiten gestaltet und im Eingangsbereich hängen die neuen Buchprojekte an der Wand. Kleine Bilder ihrer »Real Life Superheroes«, einem freien Projekt über Menschen, die sich in Superhelden verwandeln. Hier hängen die Menschen mit einer Mission – Helden, die die Welt besser oder einfach die Nachbarschaft sicherer machen wollen. Verkleidet, auf der Suche nach einer, nach ihrer Rolle in einer Gesellschaft, die nicht auf die Machthaber wartet, sondern zum selber anpacken animiert.

Neben kommerziellen Aufträgen für die Berliner Verkehrsbetriebe, Tourismusmarketing oder McDonald’s sind es diese freien Projekte, die einen großen Teil der fotografischen Arbeit von Verena Brandt ausmachen. Es ist nicht leicht, sich von Konzepten anderer auf eigene Ideen und Gestaltung umzustellen, stellt sie fest, aber es funktioniert nach kurzer Zeit. Und die Finanzierung gelingt durch die Teilnahme an Wettbewerben und spätere Verkäufe.

Verena Brandt sieht sich selbst auch als Sammlerin. Dies beweisen ihre »Fragmente aus dem täglichen Leben« oder kürzer »Muss ja. Und selbst?«. Menschenfotografie vom Feinsten. Das geht nicht an einem Tag, dahinter stecken Monate und Jahre: Beobachten, Sehen, Fotografieren. Es entsteht eine neue Geschichte aus der Geschichte der Anderen.

Einen Großteil ihrer Kreativität nimmt Verenas Tätigkeit als Designerin in Anspruch. Ob Artdirektion, Plakatentwürfe, Bücher, Werbekampagnen oder Illustrationen – die Felder sind umfangreich und die Ergebnisse entsprechend vielfältig. Dass Kunden sich an dieser Vielfalt stören würden, konnte sie nicht feststellen, ganz im Gegenteil: Die Überschneidungen in den Arbeitsbereichen bereichern die jeweils anderen und machen es für sie oft einfacher, sich in die Wünsche der Auftraggeber hineinzuversetzen.

Aus der Serie »Dividendenbuffet«. Foto: Verena Brandt

Rainer F. Steußloff: Was macht dir Spaß an Fotografie?

Verena Brandt: Das Spielerische. Kindliche Neugier zu kultivieren. Offen an Neues und Fremdes rangehen. Dinge genau zu untersuchen. Nichtsichtbares sichtbar zu machen. Das Konservieren des Momenthaften. Das Soziologische. Das Impulsive. Und sich manchmal einfach treiben zu lassen und ganz intuitiv zu arbeiten. Das alles muss ich mir übrigens immer mal wieder in Erinnerung rufen. Im Berufsalltag geht das schnell mal verloren.

Bist du in sozialen Medien präsent – und bringt das was?

Ich habe damals tatsächlich einen tollen Auftrag über MySpace (ja, lange ist’s her) bekommen, aus dem sich dann auch noch viele gute Folgeaufträge entwickelt haben. Das war aber eine Ausnahme. Man müsste so unglaublich viel Zeit investieren – und das Netzwerk als Ganzes verstehen. Also aktiv teilnehmen, nicht nur Selbstvermarktung betreiben. Die Zeit möchte ich nicht investieren, da bin ich zu faul und poste nur ab und zu Neuigkeiten zu Fotoprojekten. Aber ca. 15–30 Minuten täglich verbringe ich da schon, schätze ich.

Mein Verhältnis dazu ist etwas ambivalent, es kann sehr frustrierend, aber ja auch sehr inspirierend sein. Instagram zum Beispiel, da bin ich Spätzünder. Vor kurzem erst angemeldet, daher gerade noch beeindruckt, wie kreativ-unverkrampft einige Leute diese Plattform für Fotografie nutzen. Vieles ist zwar nur formal interessant, es fehlt das Narrative, Tiefergehende – und es gibt natürlich auch viel total Überflüssiges – aber trotzdem ist die Plattform im Moment noch spannend für mich. Anscheinend hat sie sich in letzter Zeit sehr geändert, die Nutzer seien zu »like-süchtig« geworden, habe ich gelesen, d.h. posten nur noch, was voraussichtlich möglichst viele Likes bekommt. Das fände ich schrecklich, dazu hätte ich dann auch wieder keine Lust.

Aus der Serie »Dividendenbuffet«. Foto: Verena Brandt

Hast du deine Ziele erreicht?

Ich bin sehr zufrieden momentan. Ich habe aber auch noch ziemlich viel vor.

Was fehlt dir noch?

Vielleicht neue = bessere Wege der Veröffentlichung zu finden oder selbst dort kreativer zu sein. Ich versuche zwar, in erster Linie erst einmal für mich zu fotografieren, aber natürlich trotzdem nicht für die Schublade bzw. die Festplatte. Klassische Magazine kommen oft nicht mehr in Frage, Onlinemedien zahlen (noch?) nicht angemessen, Ausstellungen und Fotobücher sprechen nur einen bestimmten Kreis an.

Es gibt ja momentan viele Experimente und Projekte, die in die Richtung gehen. Magazine, die sich eben nicht mehr über Werbung finanzieren, sondern über den Leser selbst. Kollektive von Fotografen und Journalisten, Bezahlmodelle auf den Online-Portalen. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt.

Wo soll es hingehen und was hält dich auf?

Oft fällt es mir schwer, mich ganz und gar auf ein freies Thema einzulassen, da die »Erwerbsjobs« immer wieder dazwischen grätschen. Und ich bin eher pragmatisch, dadurch manchmal vielleicht etwas zu schnell zufrieden. Dabei braucht man bei freien Projekten sehr viel Durchhaltevermögen, muss alles immer wieder hinterfragen. Da kann es extrem hilfreich sein, zu zweit an einem Thema zu arbeiten wie z.B. bei meinem letzten Buchprojekt »Dividendenbuffet«. Die Journalistin Nadine Schmid und ich konnten uns immer wieder abwechselnd motivieren. Ich denke, nur so haben wir die insgesamt fünfjährige Arbeit an dem Projekt durchgehalten.

Verena Brandt in ihrem Büro in Berlin-Kreuzberg. Foto: Rainer F. Steußloff


Verena Brandt
hat Kommunikationsdesign an der HAW Hamburg studiert und fotografiert Menschen – oder Spuren des Menschen – sowohl dokumentarisch als auch konzeptionell. Beauftragt wird sie vor allem für PR, Reportage, Werbung, Porträts und konzeptionelle Fotos von Werbeagenturen, Unternehmen und Magazinen. Sie ist Mitglied der Agentur Visum Foto GmbH.
www.verenabrandt.de
www.dividendenbuffet.de