»Lockdown heißt auch, dass die Geschwindigkeit mal ihre Klappe hält…«
Die Corona-Pandemie hat viele von uns persönlich, wirtschaftlich und kreativ getroffen. Sie hat unseren Alltag an vielen Stellen auf den Kopf gestellt. FREELENS Fotograf Jann Wilken erzählt, wie er aus dieser ganz und gar nicht positiven Zeit trotzdem etwas Positives für sich ziehen konnte.
Vorneweg: Ich habe leicht reden. Keine Kinder, dafür eine helle Wohnung in der Stadt. Mit Blick auf eine Straße, auf der es auch dann viel zu gucken gibt, wenn die Welt eine Vollbremsung hinlegt. Privat ist mein Leben somit auf Pandemien ausgelegt, das war mir neu. Beruflich ist es andersrum. Alle Jobs storniert, das wird auch noch eine Weile so bleiben – Tagungen, Kultur, Gruppenbilder. Immerzu viele Leute auf engem Raum, Pech gehabt. Erstmal.
Finanziell hatte ich Glück – in den Wochen, bevor Drosten ins tägliche Leben stolperte, war viel los gewesen. Doch Vorsicht: Wenn ich zufrieden »Glück« und »Geld« in einem Satz vereine und Zahlen hinterherschiebe, wechseln festangestellte Freunde häufig dezent das Thema und laden mich danach zu irgendwas ein.
Nochmal Vorsicht: Auch, wenn ich hier recht fröhlich über meine Zeit während der Pandemie schreiben werde – bei all den Leidenden und Verstorbenen wäre es dumm, es dabei zu belassen. Der Lockdown war (ist) nötig, dabei waren unsere Freiheiten in keinem Moment so eingeschränkt wie in sehr vielen anderen Ländern auf der Erde. Dass einfache Regeln wie »Abstand-Armbeuge-Maske« wiederum von vielen Medien als »Riesen Wirrwarr« verkauft wurden, ließ die Augen kullern. Eine mutmachend-aufklärende Berichterstattung wäre meines Erachtens oft die bessere Wahl gewesen.
Trotzdem war (und ist) es für mich auch eine Rettung. Und die Rettung geht so:
In einer einsamen Wilkenfoto-Teamsitzung zur aktuellen Lage wurde erst einmal entschieden, zeitgemäße Anordnungen zu resilienter Kreativität zu ignorieren. Kreativität, die über »neue Wege« streaming-gerecht in die schicken Altbauwohnungen zoomender Patchworkfamilien transportiert werden sollte. Nichts gegen Patchwork, nichts gegen Menschen, die diese Kanäle nutzen. Aber ich wollte etwas anderes.
Lockdown heißt auch, dass die Geschwindigkeit mal für ein paar Wochen ihre Klappe hält – und mit Geschwindigkeit hat Fotografie im besten Falle ja eh nicht viel zu tun. Kurzum: Ich ließ die Langeweile zu, versteckte mich für ein paar Tage zwischen Kartons mit alten Negativen, fand interessante und weniger interessante Fotos aus 25 Jahren – und kaufte mir über Ebay sowie einen Fotoversand mal wieder ein SW-Labor zusammen.
Solidarität hieß, To-Go-Produkte zu essen. Sehr gut, also war die Küche frei. Und einen Kaffee bekommt man auch zwischen Zeitschaltuhr und Entwicklerschale hin. Das Fenster abzudunkeln dauerte etwa so lange, wie 20 Bilder am Rechner zu bearbeiten – und als ich das abgebrochene Schärferad des »neuen« Durst 605 in der Hand hielt und nun durch eine Kombizange ersetzte, war der Moment erreicht, in dem die Fotografie endlich mal wieder die Aufmerksamkeit erhielt, die sie verdient. Hassliebe Technik.
Zu den irrelevantesten Arbeiten meiner Zeit als Fotograf gehört die Serie »Auf Blumen zeigen«. Ich hatte sie in einem der Kartons gefunden. Bislang nie geprintet, nie gescannt, jetzt hatte ich Lust, ein Buch daraus zu machen. Nach pandemiefreien Jahren, in denen ich auf Veranstaltungen ungeduldig darauf gewartet habe, dass Menschen an Mikrofonen kurz mit den Händen wedeln, damit das Bild lebendig wird, war ich plötzlich wieder entzückt über… ich kann’s nicht genau sagen, aber niemand muss auf alles immer eine Antwort finden.
Entsprechend rätselhaft ein 21 Jahre altes Porträt meiner ersten Freundin. Der Kontakt ging verloren, ich möchte es hier nicht zeigen, MR:no. Macht nix, die Beschreibung ist einfach: SW, halbnah, Kamerablick, frontal. Fertig. Kein lustiges Detail, keine Blöße, nichts. Ein großartiges Foto. Aber warum!? Ich könnte versuchen, eine kluge Erklärung zusammen zu stottern, in der Wörter wie »Entschleunigung« oder »Minimalismus« vorkommen – finde es aber spannender, diese Frage ins Leere laufen zu lassen. Und stattdessen interessant zu finden, dass mein Gefühl für Bilder mal wieder eine Rolle spielen darf, eine Rolle, die im täglichen Jobleben, naja manchmal, aber eben doch viel zu selten einen Raum hat.
Wenn ich aufschreibe, was sich durch Corona verändert hat, liest es sich so: Ich habe mich im Kreis gedreht, bin wieder da, wo ich vor 20 Jahren war. Prost Mahlzeit. Erstes Semester Kunsthochschule, lange vor den Jobs. Meine Kameras, die Brennweiten und das Labor erinnern nicht nur an damals, es sind zum Teil die gleichen Geräte. Danke, Ebay.
Schon wieder Vorsicht: Nun wird’s auch mir zu kitschig, ich rudere zurück. Nein, ich sitze nicht auf meiner Fensterbank und denke über T-Kristalle nach. Leica-Pornos (»The Shutter Sound of M6«) habe ich schon im vorletzten Winterloch hinter mich gebracht. Eher geht es mir darum, wieder im Blick zu haben, was mir in der Fotografie tatsächlich wichtig ist. Zeit zu haben für Dinge – auch, wenn sie ins Leere laufen, stolpern –, um dann plötzlich etwas hervorzubringen, was so nicht geplant war. Toll. Oder ganz praktisch mal wieder etwas in der Hand zu halten. Prints aus Papier. Und meinetwegen auch eine Kombizange.
Ich mag meinen Beruf, meine Jobs – und auch die meisten Menschen, denen ich bei der Ausführung begegne. Aber wenn mir (wie neulich passiert) eine wirklich nette Kundin am Montag sagt, sie habe im Laufe der Woche eventuell Zeit für ein 5-minütiges Telefonat, bemitleide ich sie lieber als zu denken, dass ich vielleicht auch mal mehr Gas geben sollte. Dem gegenüber gab es vor einer Woche einen Mann, der ans Telefon ging, als ich Fotopapier bestellen wollte. Der ältere Mitarbeiter eines Nordischen Foto-Versandes nahm sich gefühlt einen Nachmittag lang Zeit, um mich zu beraten. Als wir auflegten, wusste ich nicht nur über die Herkunft des außergewöhnlichen Papiers Bescheid, auch der Name der Angorakatze des Büroleiters jener Firma war mir nun (ebenso gefühlt) geläufig. Entschleunigung und Minimalismus (jetzt hab ich’s doch gesagt) in die nächsten Jobs zu transportieren und nicht nur in Geschwindigkeit und Quantität zu denken – ja doch, das könnte ein Ansatz sein, über den es sich lohnt, nochmal nachzudenken.
Und wirtschaftlich? »Auf Sicht fahren« ist ein Konzept, das gut zum laufenden Jahr passt. Nicht mal Drosten weiß, wann es weitergeht. Aber ganz ehrlich: Gerade würde ich lieber tagsüber etwas ganz anderes machen und die Nächte im Labor verbringen, als mich fotografisch jemals wieder auch nur einen Nanomillimeter zu verbiegen. Ein kämpferischer Satz, den ich bald hoffentlich zur Hälfte über Bord werfen werde – wie gesagt, ich mag meine Jobs. Aber kämpferische Sätze habe ich in fotografischem Sinne lange nicht mehr formuliert. Und das ist immerhin ein winziger positiver Aspekt einer ansonsten gar nicht positiven Zeit.