Klimmzug mit zwei Fingern. Ein Besuch bei Ralf Gantzhorn
Wer sind eigentlich unsere Mitglieder? Was machen sie so, wie gestaltet sich ihr Alltag und wie kommen sie im sich ständig verändernden Berufsumfeld zurecht? FREELENS berichtet in der Rubrik »Kollegengespräch« in lockerer Folge über die Vielfältigkeit, die Bandbreite der Interessen und Arbeitsgebiete und die persönlichen Geschichten aus dem beruflichen Alltag der Profis. Für den heutigen Beitrag traf Kay Michalak den Fotografen Ralf Gantzhorn in Hamburg.
Text – Kay Michalak
Eine aufgeräumte, gut strukturierte Wohnung im Hamburger Stadtteil Winterhude, wenige Bilder an den Wänden. Ein seltsames Relief über einer Tür fällt mir sofort auf, es sieht aus wie aus weichem Stein gehauen. Mein Gastgeber begrüßt mich mit Telefon am Ohr und von Kopf bis Fuß in Funktionskleidung gehüllt. Ob ich eine Leinwand zum projizieren gebrauchen könne, werde ich gefragt, als er das Telefonat beendet. Für seine zahlreichen Vorträge ist er gerade auf der Suche nach einer Neuen. Auf einem der zwei Bildschirme auf seinem Steharbeitstisch zeigt er mir eine Ausgabe von »The Alpinist«.
»Das Magazin der Bergsteigerszene schlechthin«, wie er sagt und immerhin sein zweiter Titel in dieser Publikation. Ralf Gantzhorn ist mitten in der Arbeit. Er ist ein vielseitiger Mensch: Fotograf, Geologe, Bergsteiger, Kletterer, Segler, Kulturvermittler. Ralf hat mehrere Eigenschaften und Kompetenzen mit der Fotografie sinnvoll kombiniert.
»Die Fotografie steht im Vordergrund, sie ist die Motivation für das Sportliche, für die Expeditionen. Eigentlich habe ich nie etwas gemacht, wozu ich keine Lust hatte, meistens habe ich die Geschichten bisher selbst vorgeschlagen.«
Seine Bilder nehmen uns mit auf Reisen nach Patagonien und Feuerland, Georgien, die Alpen, USA, Norwegen, Pakistan, Nepal und Schottland. Die Hebriden wurden durch seine Erkundungen und Publikationen als Klettergebiet erst richtig bekannt. Er bringt Fotos mit aus Gegenden, wo so manch anderer ausschließlich mit Überleben beschäftigt wäre.
Mit dem Abitur beginnt auch seine Kletterkarriere auf der Isle of Skye. Er studiert Geologie in Kiel und Aberdeen und bereist Südamerika mit dem Rad. Eine Reise, die ein Auslöser für seinen späteren Weg als Fotograf sein sollte. Ein Jahr lang erkundet er Argentinien, Bolivien, Paraguay und Chile, die Kamera immer dabei. Auf Anraten eines Freundes, der die Qualität der Bilder erkannte, zeigte er verschiedenen Magazinen seine fotografische Arbeit und hatte Erfolg bei »Abenteuer und Reisen«.
»Vielleicht hätte ich mich das nicht getraut, wenn mein Freund mir nicht Mut gemacht hätte, so hatte ich meine erste Veröffentlichung und ein ordentliches Honorar und ich dachte mir, dann versuchst du das weiter.«
Sein Geologiestudium beendet er 1994, im selben Jahr erscheint sein erstes Fotobuch. Als Geologe arbeitet er angestellt bis 2004, im Bereich Umweltberatung und Altlasten. »Wahrscheinlich habe ich jede 5. Tankstelle in Hamburg umgebaut.« 2004 findet er auch den Mut, sich selbständig zu machen, die Geologie macht heute nur noch ungefähr 5% seiner beruflichen Tätigkeit aus.
Patagonien & Feuerland begeistert ihn seit Jahren auf eine ganz besondere Art, immer wieder hat er diese Region bereist, davon sieben Expeditionen alleine zum Monte Sarmiento, einem Berg, den Charles Darwin »das erhabenste Schauspiel Patagoniens« nannte.
Südlich der Magellanstraße erhebt sich dieser Berg, nicht besonders hoch, aber äußerst schwierig zu besteigen, meistens in dichte Wolkenfelder und schlechtes Wetter gehüllt. Die Anreise ist nur per Schiff möglich, Ralf und seine Begleiter segeln dorthin. Den Hauptgipfel der »Weißen Diva«, wie er den Berg nennt, hat er bisher noch nicht erreicht, nur den 20m niedrigeren Nebengipfel. Lächerlich eigentlich, aber er will trotzdem nochmal ganz hoch. Leidenschaft nennt man so etwas wahrscheinlich.
»Es ist ein unglaublich gutes Gefühl, so etwas großes und übermächtiges mit seinen kleinen Fähigkeiten zu bewältigen. Wichtig dabei ist, die Ruhe zu bewahren, auch in schwierigen und gefährlichen Situationen, sonst wird das nichts mit der Fotografiererei auf solchen Unternehmungen.«
Im Frühjahr ist die nächste Reise nach Patagonien geplant. »Die 27. oder so« wie er sagt. Der Monte Sarmiento steht dieses Mal nicht auf der Wunschliste, für einen weiteren Versuch fehlt im Moment der Sponsor. Denn billig war eine Reise ans Ende der Welt noch nie.
»Ich komme mir mittlerweile ein wenig wie der Hausmeister dieser Gegend vor, ich kenne da fast jeden Baum.« Mit diesen Erfahrungen und dem Wissen über diese Region organisiert Ralf auch für andere Abenteurer Reisen in diese Region, besorgt Genehmigungen, plant Routen, organisiert Flüge.
Und auch bei Ralf gibt es Vorbilder. »Warte kurz, ich hole mein Lieblingsbuch« »Andes Patagones«, lautet der Titel, das teuerste Buch in Ralfs Bibliothek, von Alberto Maria De Agostini aus dem Jahr 1945.
Agostini, 1883 in der Nähe von Mailand geboren, war leidenschaftlicher Bergsteiger, Missionar, Forscher, Geograf, Ethnograf, Filmer und Fotograf. Agostini fing nach dem ersten Weltkrieg an, mit der Kamera Feuerland und Patagonien zu erkunden, berauschende Bilder in schwarzweiß sind entstanden, auf Ausklappseiten des Buches zeigen sich fast ein Meter breite Panoramen, ein ganz besonderes Werk. Einen kleinen Eindruck vermittelt diese Reproduktion.
In sozialen Medien ist er eher zurückhaltend unterwegs, seine Internetseite ist seine Visitenkarte, gut strukturiert und übersichtlich gestaltet, vermittelt sie einen beeindruckenden Einblick in seine Arbeit.
Die Schönheit, die Erhabenheit, das Schützenswerte der Welt, das ist es, was Ralf uns immer wieder mit seinen außergewöhnlichen Bildern näher bringt. Und Abenteuer.
Gegen Ende unserer Begegnung sagt er noch: »Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen die einzigartige Schönheit unseres Planeten sehen und vor allen Dingen respektieren lernen. Weniger ist oft mehr. Aber ich fürchte, zukünftige Generationen werden uns fragen, warum wir so verschwenderisch leichtsinnig mit den endlichen Ressourcen unserer Erde umgegangen sind. Sehenden Auges in die Katastrophe.«
Meine Fototasche hab ich schon um und ich will mich grad von ihm verabschieden, da fällt mir wieder dieses seltsame Relief über der Zimmertür auf. »Ach so, das ist ein Trainingsgerät.« Mit zwei Fingern jeder Hand greift er in eine Mulde und macht ganz locker einen Klimmzug… Und ich mache auf jeden Fall jetzt mehr Sport.
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Ralf Gantzhorn
Jahrgang 1964, lebt in Hamburg und hat drei Kinder. Der studierte Geologe arbeitet seit 2004 als selbständiger Fotograf. Er ist Kletterer, Bergsteiger, Segler und organisiert Expeditionen. Zu seinen Kunden zählen namhafte Magazine wie Geo und The Alpinist, sowie zahlreiche Publikationen aus dem Outdoorbereich. Regelmäßig zeigt er seine Arbeit in Vorträgen in der ganzen Republik. Er ist Autor zahlreicher Buchpublikationen.
www.ralf-gantzhorn.de