FREELENS Gemeinschaftsprojekt
Gordon Welters

»Emotionen zu transportieren, ist mir ganz wichtig«

In der Ausstellung »Bitte warten…«, die noch bis zum 31. März 2016 in der FREELENS Galerie präsentiert wird, sind Auszüge aus einem Gemeinschaftsprojekt zu sehen, in dem FREELENS Fotografen die Situation von Geflüchteten dokumentieren. Sie begleiten die Menschen in ihren Herkunftsländern ebenso wie deren langen Weg nach Europa, das Warten und Bangen, das Ankommen und sich Zurechtfinden in einer neuen Welt.

Gordon Welters hat eine syrische Flüchtlingsfamilie in der hessischen Provinz besucht. Frank Keil sprach mit ihm über seine Arbeit.

Frank Keil: Wie bist du auf die Familie von Abdullah gekommen?

Gordon Welters: Es war ein Auftrag des UNHCR. Das hat ein Programm, um Geflüchtete aufzunehmen und dann zu verteilen. Meine Aufgabe war es nun zu dokumentieren, wie die Menschen hier in Deutschland ankommen und wie es ihnen dann ergeht. Deshalb habe ich mehrere Flüchtlingsfamilien in ganz Deutschland zwei, drei Tage lang begleitet. Bei der Familie von Abdullah war das Besondere: Der Junge hatte einen angeborenen Gehörfehler. Er konnte in Aleppo zwar eine erste Operation erhalten und konnte danach auf einem Ohr hören. Aber eine zweite Operation war dort wegen des Krieges nicht mehr möglich – und so wurde sie hier in Deutschland durchgeführt. Und der Junge kann jetzt fast vollständig hören – was sehr cool ist.

Wie war das Fotografieren in der Familie?

Die Familie von Abdullah war sehr entspannt, sehr locker. Die Familie ist auch sehr westlich orientiert, da gab es keinen großen kulturellen Unterschied zu meiner Lebenswelt. Und – ich habe ja überwiegend die Kinder fotografiert, das ist immer okay. Es gab Familien, da war es sehr schwierig. Da konnte ich nicht die Frauen fotografieren, wenn nicht ein älterer Sohn oder noch besser der Ehemann zu Hause war. Da konnte ich auch nicht alleine fotografieren, da musste die Schreiberin mit dabei sein, da wurde ich manchmal richtig beim Fotografieren behindert.

Bei seiner Geburt war Abdullah nahezu gehörlos. Nach einer Operation hier und mit neuen Hörgeräten erlangte er bis zu 90 Prozent seiner Hörkraft zurück. Die Hörgeräte müssen jeden Morgen in den Ohren befestigt werden. Ahmad Khawam hilft seinem Sohn dabei. Foto: Gordon Welters
Bei seiner Geburt war Abdullah nahezu gehörlos. Nach einer Operation hier und mit neuen Hörgeräten erlangte er bis zu 90 Prozent seiner Hörkraft zurück. Die Hörgeräte müssen jeden Morgen in den Ohren befestigt werden. Ahmad Khawam hilft seinem Sohn dabei. Foto: Gordon Welters

Im Mittelpunkt deiner Serie steht der sechsjährige Abdullah…

Der Junge war einfach aufgeweckt, der war manchmal völlig aufgedreht. Er hat ja auch eine fast schon extreme Lebensverbesserung erfahren: Er kann jetzt hören, und er ist mit seinen Eltern und seiner Schwester in Sicherheit! Der hat es so genossen, einfach Kind zu sein. Also dem Jungen geht es hier richtig gut.

Hast du das Gefühl, dass langsam alle Bilder, die man von den Geflüchteten machen kann, gemacht sind?

Nein. Es ist ja immer alles wieder neu. Die Jahreszeiten ändern sich – und die Stimmung ändert sich. Da ich in Berlin sitze, wurde ich auch oft zum LAGESO (Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin) geschickt – und da denkt man irgendwann schon: »Mann, du hast jetzt alles dreimal durchfotografiert!«. Aber selbst dort ändert sich immer wieder die Location und auch die politischen Bedingungen verändern sich, und es wurde mir nicht langweilig. Außerdem – es sind ja immer wieder neue Leute, die kommen, selbst wenn der Fakt an sich immer wieder der gleiche ist. Manche Geflüchtete kommen alleine, manche kommen im Rollstuhl. Manche kommen mit einem Schwung Kinder, andere bringen hier ihr Kind zur Welt. Ich habe neulich bei einer Entbindung fotografiert – nun nicht bei der Entbindung selbst, aber ich konnte direkt nach der eigentlichen Geburt wieder in das Zimmer, das war voll spannend, da erlebst du das komplette Leben in all seinen Facetten.

Du klingst ganz begeistert …

Was passiert, ist ja auch spannend; es passiert etwas historisches, es passiert ja Geschichte und es berührt alle Bereiche unseres Lebens. Und wir Fotografen versuchen dem Geschehen jeweils ein Gesicht zu geben, versuchen die Menschen vorzustellen, das ist sehr wichtig, auch weil die Stimmung langsam kippt. Die Mehrzahl der Geflüchteten ist ja leise, denen muss man eine Stimme geben. Und wir können versuchen einen Kontakt zu schaffen – durch Bilder, durch kleine Porträts

Worum geht es dir bei deinen Bildern besonders?

Emotionen zu transportieren, ist mir ganz wichtig. Der Fotograf darf nicht so im Vordergrund stehen. Klar muss ich das Bild gestalten, das Licht muss stimmen und der Moment muss der richtige sein. Aber das Formale darf nicht über dem Inhalt stehen – die Emotion muss stärker sein und das Bild tragen. Wenn man die Einzelschicksale richtig erzählt, erzählt das mehr, als die Nachrichtenbilder von den Grenzübertritten, von den Überfahrten. Ich weiß, diese Bilder muss es geben, aber nach dem fünften Bild ist es immer dasselbe – und man stumpft doch ab.

Deine Strecke dagegen endet mit einem Herbstbild …

Das Bild finde ich total schön: Das Laub, die Bäume, die Häuser im Hintergrund – und davor der kleine Junge, der hoch springt und wie ein Engel für einen Moment zu schweben scheint. Für mich ist es von der Strecke her das aussagekräftigste Bild.


Gordon Welters
arbeitet seit 1998 freiberuflich als Fotojournalist und realisiert Auftragsarbeiten für Kunden – Magazine, Zeitungen, Nichtregierungsorganisationen, Firmen und Werbeagenturen – weltweit. Seine Themenschwerpunkte liegen in den Bereichen Fotojournalismus, Porträt, Reise sowie Corporate. Gordon Welters hat ein Faible für die sozial-engagierte Reportagefotografie und widmet sich in seinen freien Projekten vorrangig Themen, die vom Menschsein erzählen. Seit 2006 wird er von der Fotoagentur laif vertreten.

www.gordonwelters.com