Fotos & Geschichten
Dirk Eisermann

Design in freier Wildbahn

Auch während einer nicht ganz freiwilligen Schaffenspause kann ein ambitioniertes regionales Projekt entstehen. FREELENS Kollege Dirk Eisermann berichtet, wie eine spontane Idee ihn und seine kreativen Mitstreiter durch das emotional und wirtschaftlich schwierige Jahr 2020 getragen hat.
Text & Fotos – Dirk Eisermann

Vor gut vier Jahren bin ich – der Liebe wegen – von Hamburg kommend, fünfzig Kilometer elbaufwärts, in die wunderschöne Altstadt von Lauenburg gezogen. Schon nach kurzer Zeit fühlte ich mich in der südlichsten Stadt Schleswig-Holsteins heimisch und durfte die vielen Vorteile einer solchen Kleinstadt mit der direkten Nähe zu Ämtern und Dienstleistungen, zu anderen Gewerbetreibenden, Handwerker:innen und Künstler:innen, zu engagierten Bürger:innen und Initiativen erleben. Ich wurde aktives Mitglied im örtlichen »Heimat- und Geschichtsverein« und in der »Wirtschaftlichen Vereinigung«.

2018 habe ich mit der »Edition Rufer« einen kleinen Verlag gegründet, um damit meine Fotoarbeiten aus der Region gewerblich zu vertreiben: Ansichtspostkarten, Fotoleinwände, Dekorations- und Geschenkartikel, wie z.B. Kühlschrankmagnete, Bierdeckel usw. All das ist mittlerweile in mehreren Cafés, Geschäften und Hotels erhältlich. In den Schaufenstern der Altstadt kann ich meine Fotoleinwände präsentieren und verkaufe diese u.a. auch über einen eigenen Webshop. Das Ganze ist für mich nicht nur eine gute und regelmäßige Nebeneinnahme zu weniger werdenden Fotoaufträgen, sondern auch eine ideale Werbung für meine Dienstleistung als Berufsfotograf in der Region – begleitet durch regelmäßige informative und werbliche Postings in regionalen Facebook-Gruppen.

Lauenburger Altstadt: Blick in die Elbstraße mit Tulip Lampe von Staff Leuchten aus den 1970er Jahren.
Englischer Kaminsessel, gepolstert mit »Amazilia Velvets«, fotografiert vor dem Kalandhaus, dem ältesten noch erhaltenen Fachwerkhaus der Stadt von 1517.

Während des (ersten) durch die Corona-Pandemie ausgelösten Lockdowns im Frühjahr des letzten Jahres saß ich in der Werkstatt von Karsten Legeler, einem befreundeten Polsterer, Möbelrestaurator, Händler und Sammler, und wir sprachen über unsere große Liebe und Leidenschaft zum eigenen Handwerk sowie über die Auswirkungen durch die Corona-Verordnung. Bedingt durch Auftragsstornierungen und eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten hatten wir beide plötzlich ganz viel Zeit und kamen so auf die Idee, gemeinsam ein freies Projekt zu verwirklichen:

Wir inszenierten und fotografierten international bekannte Designobjekte, Möbelklassiker und Stilikonen an ausgesuchten, teilweise selbst auch vielen Lauenburger:innen völlig unbekannten oder so noch nie gesehenen Plätzen der Stadt. Insgesamt entstanden so in den nächsten Monaten achtzehn verschiedene Motive, von denen es schließlich 13 in den außergewöhnlichen Kunstkalender »Design in freier Wildbahn« geschafft haben. Die Bilder sollten auch dazu motivieren, Lauenburg selbst ganz neu zu entdecken. Schon die Umsetzung unserer Ideen wäre ohne die Mitwirkung von Lauenburger Einrichtungen und Privatpersonen nicht möglich gewesen.

Für die Gestaltung des Kalenders holten wir einen weiteren kreativen Kopf aus der Region mit ins Team: den Lauenburger Mediendesigner Fin Erik Eckhoff. Schlussendlich war es für uns dann nur konsequent, auch Druck und Produktion des Kalenders vor Ort zu realisieren.

Golfball und Golfschläger-Sessel von Frank Oelke, Deutschland 1990er Jahre, fotografiert an der Palmschleuse, der ältesten Kammerschleuse Europas, die bis 1896 in Betrieb war.
Schreibtisch und Stuhl S64 von Marcel Breuer für Thonet, Österreich, fotografiert im Lauenburger Freibad.

So konnten wir am Ende den Lauenburger:innen nicht nur unsere Sicht auf die Schönheit und Vielfalt unserer Kleinstadt präsentieren und ihnen dabei einige ausgesuchte Möbel- und Designklassiker vorstellen, denn zu allen fotografierten Orten und Objekten finden sich im Kalender ergänzende Informationen. Wir konnten auch zeigen, welch professionelle Handwerkskunst und Kreativität von örtlichen Dienstleistern in der Stadt zu finden sind. Unser Projekt wurde vor Ort durch intensive Medienarbeit und Presseveröffentlichungen begleitet.

Ein FREELENS Mitglied aus Schleswig-Holstein hatte mich im Sommer auf die finanzielle Förderung von Kunstprojekten zu Corona-Zeiten aufmerksam gemacht, sodass ich vom Kulturhilfefond meines Bundeslandes auch noch Zuschüsse für meine fotografische Arbeit erhalten habe.

Im Nachhinein kann ich feststellen, dass mich und meine Kreativ-Partner die Arbeit an diesem Kalender-Projekt durch eine emotional und wirtschaftlich schwierige Zeit getragen hat. 2020 wurde damit für uns nicht (nur) zum außergewöhnlichen COVID-19-Krisen-Jahr, sondern zu einem, in dem wir ein außergewöhnlich spannendes und innovatives Projekt entwickelt und realisiert haben. Und das hat uns wirklich gut getan!

2021 werden wir das Projekt mit neuen Objekten und ausgeweitet auf weitere Orte im ganzen Kreis Herzogtum Lauenburg fortsetzen…

Rocking Chair von Charles & Ray Eames für Herman Miller, 1950er Jahre, fotografiert in der Zisterne, einem unterirdischen Wasserreservoir, welches in den dreißiger Jahren gebaut wurde, um die Lauenburger Unterstadt mit Trinkwasser zu versorgen.
Messing Bogenlampe von Leola, 1970er Jahre, fotografiert an der 1912 erbauten Buchhorster Waldbahn, die seit 1988 als Industriedenkmal und Museumsbahn wieder privat betrieben und befahren wird.