Kriegs-, Krisen- & Konfliktfotografie
Schwerpunktthema

Werdet hart, aber bleibt empfindsam

Die Arbeit als Fotojournalist*in in Kriegs- und Krisenregionen kann zweifellos schnell den Charakter einer menschlichen Grenzerfahrung bekommen. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die physische Sicherheit, sondern auch die psychosozialen Folgen des Erlebten und Gesehenen. Was Fotojournalist*innen und Bildredakteur*innen dazu sagen und was die Einschätzung von Expert*innen zu dem Thema ist, hat Felix Koltermann für uns in Erfahrung gebracht.
Text – Felix Koltermann

Es sollte eigentlich eine relativ sichere Angelegenheit werden, als der freie Fotojournalist Sebastian Bolesch im Frühjahr 2015 die Front in der Ostukraine besuchte. Aber kaum waren sie angekommen, wurden sie mit Raketen beschossen. »Das war sehr knapp«, sagt er heute. Momente wie dieser erzeugen einen unmittelbaren Schock. Aber es ist nur ein Teil dessen, was für Bolesch die psychosozialen Folgen der Arbeit in Kriegs- und Krisenregionen ausmacht. Dazu gehört auch, dass einem zu Hause bei der Fahrt über einen Acker plötzlich der Gedanke an Minen kommt oder man sich fragt, was aus Menschen geworden ist, mit denen man gearbeitet hat. Der langjährige Stern-Reporter Gerhard Kromschröder erzählte, dass er erst im Rückblick beim Anschauen vieler Jahre alter Bilder realisierte, was er tatsächlich erlebt hatte.

Der deutschen Journalistin Petra Tabeling sind diese Themen gut bekannt. Zwischen 2006 und 2015 leitete sie das Deutschlandbüro der amerikanischen Stiftung »Dart Center for Journalism and Trauma« und gründete später mit weiteren Kolleg*innen die Initiative »Nicht Schaden«. Aus 13 Jahren Erfahrung mit dem Thema kennt sie viele Fotojournalist*innen, die mit ihren Erinnerungen kämpfen. Eine besondere Rolle spielt für sie die Kamera. Denn die kann Segen und Fluch zugleich sein: Für die einen baut sie Distanz zum Geschehen auf, für andere wiederum ist sie ein Zoom mitten hinein ins Grauen. Was dabei letztlich welche Wirkung hat, ist bei jedem anders. So müssen es laut Petra Tabling nicht immer die lauten Bilder sein, die traumatisieren. Was also der oder die eine gut wegsteckt, kann für andere schon zu viel sein.

Nicht nur eine perfekt auf den Einsatz abgestimmte Ausrüstung – wie hier im Fall von Ron Haviv – gehört zur Arbeit in Kriegs- und Krisengebieten dazu. Zu klären ist auch, wer im Fall von psychischen Schäden die Verantwortung trägt. Foto: Ron Haviv/VII/Redux/laif
Der Umgang mit dem Thema bei Verlagen und Redaktionen

Ob Gerhard Kromschröder in den neunziger Jahren als Festangestellter des Stern oder Sebastian Bolesch als Freier für die Zeit: Wenn deutsche Fotojournalist*innen in Kriegs- und Krisenregionen reisen, dann meist im Auftrag. Da verwundert es, dass es bei den großen Medienhäusern wie Stern, Spiegel oder Zeit keine festen Prozedere zum Umgang mit der psychosozialen Belastung der Mitarbeiter*innen gibt, die in Kriegs- und Krisenregionen reisen. Professionelles Debriefing nach der Arbeit in diesen Regionen? Damals wie heute Fehlanzeige, was übrigens auch für Textjournalist*innen gilt. Ein strukturelles Problem in der Zusammenarbeit mit freien Mitarbeiter*innen besteht für den Stern-Bildredakteur Andreas Trampe darin, dass die Verlage freie Fotojournalist*innen als freie Unternehmer*innen betrachten. Und da diese sich freiwillig für ein Thema entscheiden, tragen sie dann auch die unternehmerische Verantwortung und das Risiko für ihre psychische und physische Gesundheit. Gleichwohl würde Trampe bei Problemen immer kollegiale Unterstützung anbieten. Und auch für Matthias Krug, Bildredakteur beim Spiegel, geht es darum, immer als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen und von Fall zu Fall zu reagieren.

Petra Tabeling hält dieses Vorgehen zwar für wertvoll, gleichwohl setzt dies immer eine starke Eigeninitiative der Fotojournalist*innen voraus. Sebastian Bolesch zögert bei der Frage, wie er sich den Umgang der journalistischen Institutionen mit dem Thema vorstellt. Auch wenn er sich mehr Engagement der Redaktionen und Verlage wünscht, ist es für ihn eine Frage der Qualität. »Problematisch fände ich auch, wenn Aufträge nur noch vergeben werden, wenn man sich zu vorbereitenden Trainings und nachgelagerten Debriefings verpflichtet«, so Bolesch weiter. Für Petra Tabeling hingegen ist klar, dass das Thema Teil der Für- und Nachsorgepflicht der Verlage und damit Teil der Personalverantwortung ist: »Die psychosoziale Selbstvorsorge gehört bei der Einführung genauso selbstverständlich dazu wie der Betriebsschutz«. Auch Gerald Sagorski, lange Jahre Bildredakteur und Betriebsratsmitglied bei Spiegel Online sieht die Unternehmen in der Pflicht. Für Sebastian Bolesch ist vor allem wichtig, dass das Thema von der individuellen Ebene und der Verantwortung des Einzelnen wegkommt.

Trauma bei der Arbeit am Bild

Belastend kann nicht nur die Arbeit in Kriegs- und Krisenregionen sein, sondern auch die Bearbeitung der Bilder, die dabei entstehen. »Wir sehen Bilder, die man niemandem zeigen kann«, so Matthias Krug. »Man kann versuchen, das professionell zu sehen, aber es nimmt jeden mit«. Die Erfahrung, dass die Bilder Spuren hinterlassen, dass man nachts aufwacht mit schrecklichen Bildern im Kopf, etwa von Gräueltaten des IS wie Massenköpfungen, das kennen viele Bildredakteur*innen. Einen offenen Austausch über die Belastungen bei der Arbeit gibt es jedoch selten. Ressorts oder Arbeitsbereiche zu wechseln, ist meist eine individuelle Entscheidung. »Wenn Mitarbeiter*innen sagen, sie wollen bestimmte Themen nicht bearbeiten, weil sie dies belastet, dann müssen sie das auch nicht«, bestätigt auch Andreas Trampe. In Mitarbeitergesprächen werden solche Probleme besprochen, um schon im Vorfeld  zu verhindern, dass Redakteur*innen überfordert werden. Gleichwohl gibt es auch hier keine festen redaktionellen Prozedere.

Trauma als Arbeitsunfall

Aber was passiert, wenn Fotojournalist*innen mit den Folgen von Erlebnissen kämpfen, die während eines Assignments entstanden sind? Oder wenn sich eine posttraumatische Belastungsstörung einstellt? Theoretisch kann diese als Arbeitsunfall anerkannt werden. Notwendig dafür ist, so Christian Sprotte, Pressesprecher der Berufsgenossenschaft BG ETEM, dass »im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit ein Ereignis stattfindet, das eine psychische Belastung auslöst«. In solch einem Fall übernimmt die BG ETEM die Behandlungskosten, organisiert Heilverfahren und ist währenddessen Ansprechpartner für Fragen. Aber gleichwohl gibt es Fallstricke. Da bei Festangestellten der Arbeitgeber Mitglied bei der Berufsgenossenschaft ist, muss die Meldung über den Arbeitgeber erfolgen. Ohne ein vertrauensvolles Verhältnis und die Offenheit, über psychosoziale Belastungen zu reden, ein kaum denkbarer Weg. Und auch für die Freien ist es nicht unbedingt einfacher. Als selbständige Unternehmer*innen können sie zwar eigenständig Meldung machen, aber viele sind gar nicht erst Mitglied der BG ETEM.

Vor allem für die Momente im Einsatz, wenn das deutsche Gesundheitssystem weit weg und damit weder professionelle Betreuung, noch Freunde oder Familie da sind, bleibt nur die Selbstfürsorge. Was dann im Einzelfall hilft, ist unterschiedlich. Was Gerhard Kromschröder über seine Zeit in Bagdad trug, waren die Routinen. All das weiter tun, worüber man im Chaos Kontrolle hatte, wie Rasieren oder Wäsche waschen, das half ihm. Seine Empfehlung an die junge Generation ist »Werdet hart, aber bleibt empfindsam«: Hart in der Sache, aber empfindsam in der Seele. Und für Sebastian Bolesch ist das Entscheidende, über die eigenen Erfahrungen zu sprechen. Nur der Zeitpunkt muss stimmen, was oft mit dem Interesse von Freunden und Familie kollidiert, die direkt nach der Rückkehr von einer Reise wissen wollen, wie es einem geht. Ähnlich wie bei Gerhard Kromschröder ist es für Bolesch dann wichtig, erst einmal Alltag zu leben und normale Dinge zu tun.

Ein Blick in die Zukunft

Um für die psychosozialen Folgen (foto-)journalistischer Arbeit in Kriegs- und Krisenregionen zu sensibilisieren und Risiken dauerhafter psychischer Schäden minimieren zu können, braucht es eine Kultur des Sprechens, nicht des Schweigens. Vor allem im Fotojournalismus wurde dies lange Zeit vom Mythos des heldenhaften Kriegsfotografen mit seinem Machogehabe erschwert. Bis heute haben viele Angst, dass etwas hängen bleibt, sie als unbelastbar gelten, wenn sie sich outen. Schon vor mehr als zehn Jahren hat die Traumatherapeutin Fee Rojas deswegen für eine Kulturveränderung plädiert, die nicht nur die Journalist*innen selbst, sondern vor allem die Redaktionsstrukturen umfassen sollte. Dass es immer mehr (Foto-)Journalist*innen gibt, die öffentlich über ihre Erfahrungen reden oder Fachtagungen wie »Krieg und Krise, Terror und Trauma« vergangenen Winter in Hamburg stattfinden, zeigt, das etwas in Bewegung ist.

Trotz allem passiert in Deutschland immer noch wenig. Vor allem im Vergleich zu den USA, wo Institutionen wie das »Dart Center for Journalism and Trauma« einen festen Platz in der Journalismusausbildung und -forschung haben, wird das Thema hier immer noch stiefmütterlich behandelt. Notwendig erscheint nicht nur eine Schulung hinsichtlich der Sensibilisierung für psychosoziale Themen auf allen Verantwortungsebenen. Wichtig ist auch das Schaffen von klaren Prozeduren für Debriefings und die Entwicklung therapeutischer Angebote sowie spezialisierter Trainings abseits sicherheits- und militärzentrierter Ansätze. In diesem Zusammenhang sind auch die Berufsverbände gefragt, klar Position zu beziehen. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf den Freelancer*innen liegen, da sie, wie so oft, durch alle Raster fallen.

INFO

Traumatische Erfahrungen

Aus psychologischer Perspektive betrachtet gehören Kriegsfotograf*innen zur Kategorie der First Responder. Unter diesem Begriff werden all diejenigen gefasst, die als erste an den Ort einer Katastrophe kommen und mit deren Ausmaß direkt konfrontiert sind. Neben Journalist*innen werden dazu auch Feuerwehrleute, Sanitäter*innen, Polizist*innen und Soldat*innen gezählt.

Traumatische Erfahrungen können dabei sowohl aus dem eigenen Beobachten von Geschehnissen als Zeug*in als auch dem direkten Erleben von Repression und Gewalt am eigenen Körper entstehen. Ob aus einer traumatischen Erfahrung bzw. einem erlebten Trauma langfriste Folgen hervorgehen, hängt von der Resilienz, also den Verarbeitungsmechanismen der Einzelnen ab. Und ob ein Trauma, einfach ausgedrückt eine Wunde auf der Seele, verheilt oder nicht, hängt vor allem vom Umgang damit ab.

Denn nur, wer es schafft, das traumatische Erlebnis nicht zu verdrängen, sondern in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren, kann Langzeitfolgen entgehen. Das bekannteste psychologische Krankheitsbild, mit dem First Responder konfrontiert sein können, ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Mögliche Anzeichen für nicht verarbeitete Traumata sind etwa Vermeidungshandlungen, Flashbacks und ein erhöhtes Erregungsniveau.


Felix Koltermann ist promovierter Kommunikationswissenschaftler und arbeitet zu den Themen internationaler Fotojournalismus, visuelle Medienkompetenz und zeitgenössisches Fotobuch. Zuletzt hat er das Buch »Fotoreporter im Konflikt – Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina« beim Verlag Transcript publiziert. Er betreibt den Blog »Fotografie und Konflikt« und ist als freier Journalist unter anderem für die Zeitschrift Photonews tätig. Auf Twitter und Instagram ist er unter @fkoltermann zu finden.