Kriegs-, Krisen- & Konfliktfotografie
Schwerpunktthema

Mehr Sichtbarkeit für den Frieden

Ist es ethisch problematisch, in Zeiten, die von Kriegen, Krisen und Umweltzerstörungen dominiert zu sein scheinen, für Friedensfotografie zu plädieren? Friedensfotografie widmet sich dem Frieden nicht negativ, indem sie die Abwesenheit und damit die Wünschbarkeit des Friedens dokumentiert, sondern hält der etablierten Kriegsfotografie, mit der sie viele Ziele teilt, eine alternative Darstellungsweise entgegen, die Frieden positiv darstellt oder die Möglichkeit des Friedens visuell antizipiert.
Kommentar – Frank Möller

Mein Plädoyer für Friedensfotografie ist kein Plädoyer gegen Kriegsfotografie, sondern der Versuch, die Beschäftigung mit der Fotografie um zwei Fragen zu erweitern, die in Theorie und Praxis eher am Rande behandelt werden: wie kann Frieden fotografisch dargestellt werden und wie können solche Darstellungen zum Frieden beitragen? Beide Fragen sind nicht einfach zu beantworten, weil es keinen allgemein gültigen Friedensbegriff gibt, auf den Fotograf*innen zurückgreifen könnten: Vom negativen Frieden (der Abwesenheit organisierter, physischer Gewalt) bis zum positiven Frieden (der alles umfaßt, was gut und wünschenswert ist) konkurrieren viele verschiedene Ansätze miteinander. Friedensfotografie kann deshalb nur als die Summe der Vielzahl unterschiedlicher fotografischer Ansätze verstanden werden, die ein bestimmtes Verständnis vom Frieden reflektieren.

Friedensfotografie bedarf eines tieferen Verständnisses von Friedenskonzepten, als normalerweise in fotografischen Diskursen anzutreffen ist. Frieden ist mehr als nur die Abwesenheit von Gewalt, und jedes Verständnis von Frieden kann fotografisch abgebildet werden. Der negative Frieden taucht in unzähligen Fotografien auf, was aber nicht dazu führt, dass diese Fotografien als Friedensdarstellungen verstanden werden. Friedensfotografie kann als eigenständiges Genre nur etabliert werden, wenn ausgewählte Fotografien ausdrücklich als Friedensbilder bezeichnet werden; sie ist deshalb visuell und sprachlich bedingt. Die Gegenüberstellung verschiedener Friedensfotografien auf der Basis unterschiedlicher Friedenskonzepte ermöglicht Kritik und Erweiterung unseres Verständnisses vom Frieden. Gespräche über konkurrierende Friedensbilder helfen uns zu verstehen, warum unterschiedliche Menschen verschiedene Bilder als Friedensbilder wahrnehmen. Damit werden die diesen Wahrnehmungen zugrundeliegenden politischen und sozialen Verhältnisse begreifbar.

Friedensfotografie kann uns also helfen, die Sichtbarkeit des Friedens zu erhöhen. Das ist dringend nötig, weil Fotografie die Unsichtbarkeit bestimmter Erscheinungen (z.B. Frieden) erhöht, wenn sie sich auf die Darstellung anderer Erscheinungen (z.B. Krieg) konzentriert. Die Fototheoretiker Stuart Allan und Fred Ritchin haben erste Schritte zur Etablierung einer Fotografie des Friedens unternommen. Allan, indem er eine Fotografie im Dienste von Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit verlangt. Ritchin, indem er eine Fotografie fordert, die Menschen, die der Gewalt ausgesetzt sind, hilft, eben dieser Gewalt zu entkommen. Beide Autoren gehen über die rein dokumentarische Funktion der Fotografie hinaus und verstehen sie als Agenten sozialen Wandels. Damit befinden sie sich in der guten Gesellschaft derjenigen Kriegsfotograf*innen, die ihre Arbeit nicht nur als Dokumentation, sondern als Kritik der Gewalt verstehen und somit auch Friedensfotografie betreiben – Fotografie für den Frieden.

Friedensfotografie ist kein akademisches Konzept. Friedens- und Kriegsfotografie schließen sich in der Praxis nicht aus. Selbst Fotografen wie zum Beispiel Robert Capa die exemplarisch für die Kriegsfotografie stehen, haben beides fotografiert: Gewalt und die Fortdauer friedlichen, alltäglichen Lebens im Schatten der Gewalt, dieser trotzend und friedliche Alternativen aufzeigend. Davon braucht es mehr und vor allem muss der Frieden in den Bildern – sprachlich wie visuell – explizit gemacht werden.


Frank Möller
arbeitet am Friedensforschungsinstitut (TAPRI) der Universität Tampere, Finnland, wo er visuelle Friedensforschung entwickelt und als Bestandteil der Friedens- und Konfliktforschung etabliert hat. Zuletzt ist von ihm beim Verlag Palgrave Macmillan der Band »Peace Photography« erschienen, in dem er seine Konzepte zum Thema ausführlich erläutert.