Kriegs- und Krisenfotografie – ein stumpfes Schwert?
Editorial von Lutz Fischmann
Die Kriegs- und Krisenfotografie gilt noch immer als die Königsdisziplin des Fotojournalismus. Seit Roger Fenton, der 1855 den Krim-Krieg im Auftrag der britischen Krone mehr inszenierte als dokumentierte, haben unzählige Fotograf*innen uns ihr Bild des Krieges geliefert – viele bezahlten dies mit ihrem Leben.
Der Vietnamkrieg, in dem mehr Journalist*innen als Generäle getötet wurden, gilt als die letzte militärische Auseinandersetzung, in der sich Fotograf*innen frei bewegen konnten. Das Resultat waren Fotos, die auch den »schmutzigen« Krieg in die amerikanischen Wohnzimmer transportierten und damit die Kosten des Krieges aufzeigten. Die Fotos trugen mit dazu bei, die Kriegsbereitschaft zu unterminieren.
Allen Berichten, seien sie aus Syrien, Afghanistan, Irak, Nigeria, Sudan usw. ist heute gemeinsam, dass sie uns überwiegend die archaischen Auswüchse von Kriegen und Krisen zeigen. Bei den vom World Press Photo Award prämierten Fotografien wird dies jedes Jahr aufs Neue sichtbar. Nur wenige befassen sich mit ihren Ursachen und noch weniger berichten nachhaltig – ein Thema ist schnell abgefeiert, denn die Karawane der Journalist*innen zieht weiter.
In den nächsten Monaten wird sich FREELENS in einem Schwerpunkthema intensiv mit der Kriegs- und Krisenfotografie beschäftigen. Neben grundsätzlichen Begriffsbestimmungen werden wir die Hintergründe und unterschiedlichen Arbeitsweisen von Fotograf*innen untersuchen, die sich in Kriegs- und Krisengebieten bewegen.

Wir werden erkunden, ob und wie Fotojournalist*innen für die Kriegs- und Krisenfotografie ausgebildet werden und untersuchen, welche Hilfestellung ihnen gegeben wird, sei es durch Redaktionen, Versicherungen, Selbstschutz- oder Sicherheitstrainings.
Immer wieder werden wir die Protagonist*innen selbst zu Wort kommen lassen. Wir wollen von den Schwierigkeiten und Motivationen hören, anzufangen und aufzuhören und wollen wissen, welche Belastungen auf Journalist*innen in Krisengebieten zukommen, ob man den Umgang damit lernen kann und wer Hilfe dazu anbietet.
Wir werden der Frage nachgehen, welche Rolle die lokalen Mitarbeiter*innen wie Übersetzer*innen, Fahrer*innen, Stringer und Fixer spielen.
Neben der »klassischen« Berichterstattung werden wir uns mit der konzeptionellen und künstlerischen Fotografie beschäftigen und auch die Frage beleuchten, welche alternativen journalistischen Formate entwickelt wurden und die Vertreter*innen dieser Positionen vorstellen. Und wir werden den Eventcharakter der Kriegsfotografie untersuchen – mündet diese Fotografie doch häufig als Kunstobjekt in Ausstellungen und auf Festivals.
Längst produzieren die kriegsführenden Parteien ihre eigenen Bilder – sei es durch die Kontrolle der eingebetteten Journalist*innen oder gleich durch eigene Aufnahmen und heizen dadurch einen Bilderkrieg aller beteiligten Parteien an – bis zu den Hinrichtungsvideos der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Damit rücken immer spektakulärere Bilder, die nicht von Journalist*innen stammen, in den Fokus der Berichterstattung und bestimmen sie. Ihr Wahrheitsgehalt ist nur schwer bis gar nicht zu überprüfen.
In ähnlicher Weise gilt dies auch für die Kooperation von Fotojournalist*innen und NGOs. Während dies für erstere zu einer wichtigen Stütze ihres Einkommens geworden ist, kämpfen die NGOs mit inzwischen immensen Budgets und fotojournalistisch angehauchter PR-Fotografie um Spendengelder. Denn ohne Fotografien lassen sich keine Spenden einsammeln.
Dabei ist natürlich klar, dass wir nicht die ersten sind, die das Thema aufgreifen. Zahlreiche Artikel, Ausstellungen und Bücher haben sich in den letzten Jahren der Kriegsfotografie gewidmet. Und erst kürzlich veröffentlichte das Team um Karen Fromm von der Hochschule Hannover mit »Images in Conflict« ein Buch zu einer gleichlautenden Tagung aus dem Jahr 2017.
FREELENS hat sich vorgenommen, die Kriegs- und Krisenfotografie in ihrer ganzen Breite und Tiefe zu untersuchen und dabei soweit als möglich auch bisher vernachlässigte »Randbereiche« auszuleuchten. Dafür haben uns ausgewiesene Autor*innen und Fotograf*innen ihre Mitarbeit zugesichert, u.a. Felix Koltermann, der die redaktionelle Leitung und Koordination übernommen hat.