Kriegs-, Krisen- & Konfliktfotografie
Schwerpunktthema

Alternativen der Sichtbarmachung

Neben der meist tagesaktuellen, klassischen Nachrichten- und Reportagefotografie aus Kriegs- und Krisenregionen finden sich zahlreiche künstlerisch-dokumentarische Auseinandersetzungen mit fotojournalistischen Themen, Fragestellungen und Strategien. Traditionell abgegrenzte Genre nähern sich einander an und hinterfragen, kritisieren und bereichern sich dabei gegenseitig.
Text – Sophia Greiff

Die Veränderungen im Fotojournalismus einmal nicht als Krise, sondern als Chance zur Erneuerung zu betrachten, war die Intention der Ausstellung »Antiphotojournalism«, die 2011 im Foam Museum in Amsterdam gezeigt wurde. Der einer Arbeit des Künstlers und Fotokritikers Allan Sekula aus dem Jahr 1999 entlehnte Titel mag zunächst etwas drastisch klingen. Er meinte jedoch nicht etwa eine tatsächliche Abwendung vom fotojournalistischen Erzählen, sondern verstand sich viel mehr als Aufruf zu einer Neubetrachtung traditioneller Konventionen und Rituale. Ausgestellt waren Arbeiten von etablierten Fotojournalist*innen sowie künstlerische Positionen, die sich zwar alle mit der Kriegs- und Konfliktberichterstattung auseinandersetzten, dabei jedoch die medialen Grenzen und gängigen Mechanismen zur Erzeugung von Wahrheit, Glaubwürdigkeit und Bedeutsamkeit selbstkritisch befragten.

Eine Vielzahl zeitgenössischer Positionen experimentiert mit diesem Aufeinandertreffen von fotojournalistischen Themen und konzeptionellen Strategien und lotet alternative Möglichkeiten der Sichtbarmachung aus. Einen Perspektivwechsel auf bildsprachlicher Ebene vollzieht beispielsweise Chris de Bode, wenn er sich in seiner Arbeit »Exodus from Libya« (2011) vom aussagekräftigen Einzelbild des Fotojournalismus abwendet. Die bürgerkriegsbedingte Rückkehr von Arbeitsmigrant*innen aus Libyen in ihr Heimatland Bangladesch visualisierte er stattdessen in einer seriellen Aneinanderreihung eines Straßenabschnitts, der von unzähligen, mit Gepäck beladenen Menschen passiert wird. Indem er die Aufnahmen zu einer umfangreichen Collage zusammensetzt, nutzt er die Wiederholung als künstlerische Strategie, um das Ausmaß dieser Fluchtbewegung greifbar zu machen.

Zeigen, was bleibt

In der Tradition einer sogenannten »Aftermath Photography«, die sich auf die verbleibenden Spuren von Konflikten und Gewaltverbrechen konzentriert, sind die Arbeiten von Ziyah Gafić oder Sophie Ristelhueber anzusiedeln. Mit zeitlichem Abstand zum unmittelbaren Kampfgeschehen entziehen sich diese Positionen dem allgegenwärtigen Bilderstrom der tagesaktuellen Berichterstattung. Sie richten den Blick auf Ruinen und Relikte, auf menschenleere aber bedeutungsschwangere Landschaften, auf Entwicklungen und Langzeitfolgen. So dokumentiert Ziyah Gafić in seiner Arbeit »Quest for Identity« seit 2010 persönliche Gegenstände, die aus Massengräbern exhumiert wurden. Noch heute, über zwei Jahrzehnte nach dem Bosnienkrieg, dienen diese dazu, die Vermissten zu identifizieren. Gafićs nüchterne, geradezu forensische Aufnahmen verweisen auf Einzelschicksale und individuelle Opfer, sind aber auch Stellvertreter für die zahllosen Menschen, die noch immer vermisst werden.

Sophie Ristelhueber hingegen reiste sieben Monate nach dem Ende des Zweiten Golfkriegs nach Kuwait, um die der Wüstenlandschaft zugefügten Verletzungen aufzuzeichnen: Bombenkrater und Schützengräben, Reste von Munition und brennende Ölfelder. In ihrer Arbeit mit dem französischen Titel »Fait« (1992), der zugleich für den »Fakt« im Sinne einer fotojournalistischen Beweisführung, wie auch für eine »vollendete Tatsache« steht, zeigt sie die verwundete Landschaft aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Entfernungen. Größenverhältnisse lösen sich auf und führen zu Desorientierung und Verunsicherung über das, was wir tatsächlich sehen. Damit thematisiert Ristelhueber nicht nur einen medial omnipräsenten Konflikt, der durch das vom US-Militär kontrollierte und zensierte Bildmaterial in seiner Sichtbarkeit jedoch eingeschränkt war, sondern spielt auch auf die zunehmende Abstraktion gegenwärtiger Kriege an, die mithilfe von Luftangriffen und modernen Technologien aus der Distanz geführt werden.

Ein kennzeichnendes Merkmal militärischer Überwachungstechnik ist ihre (potenzielle) Unsichtbarkeit. Für das Projekt »The Other Night Sky« hat Trevor Paglen mit Hilfe der Daten von Amateur-Satellitenbeobachtern die Lichtspur geheimer US-Spionagesatelliten fotografiert. Die Aufnahme »PAN (Unknown; USA-207)« stammt aus dem Jahr 2010. Foto: Trevor Paglen
Verborgenes sichtbar machen

Mit neuen Bildern, die nicht mehr allein von Menschenhand geschaffen, sondern durch Maschinen oder Algorithmen generiert werden, setzt sich eine Reihe weiterer zeitgenössischer Künstler*innen und Fotograf*innen auseinander. So arbeitet Trevor Paglen mit Informatiker*innen und Netzaktivist*innen zusammen, um verborgene Phänomene, wie digitale Infrastrukturen, geheime Überwachungssysteme oder Spionagesatelliten in der Erdumlaufbahn sichtbar zu machen. Seine kunstvollen Aufnahmen erinnern mitunter an die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Bei genauem Hinsehen und durch das Studieren der Bildunterschrift offenbaren sie jedoch aufschlussreiche Einsichten über unsere heutige Zeit. James Bridle dagegen nutzt Berichte des »Bureau of Investigative Journalism« und Satellitenaufnahmen von Google Maps, um die Schauplätze von Drohnenangriffen aufzuspüren. Mit einer entsprechenden Hintergrundinformation zum Anschlag postet er dies bei Instagram. So macht er mit seinem Projekt »Dronestagram« (2013) öffentlich, was eigentlich der Geheimhaltung unterliegt.

Ähnlich investigativ zeigen sich künstlerisch-dokumentarische Positionen, die auf intensiven Recherchen und einer umfangreichen Materialsammlung beruhen. Laia Abril, Matthieu Asselin oder Geert van Kesteren beziehen Archivmaterial, Found Footage, offizielle Dokumente oder Handyfotos von Amateuren in ihre Arbeiten ein, um ihre eigene Perspektive zu erweitern. Auch Edmund Clark greift für »Negative Publicity« (2011–2015) auf diverse, sich gegenseitig bezeugende und belastende Unterlagen, wie Rechnungen, Verträge, Gesprächsprotokolle und Flugpläne zurück. Gemeinsam mit dem Anti-Terror Ermittler Crofton Black weist er so die Durchführung illegaler Gefangenentransporte unter der Präsidentschaft von George W. Bush nach.

Reflexion und Kritik

Die gegensätzliche Strategie des Nicht-Zeigens bzw. der Bildverweigerung wählt schließlich das Künstlerduo Adam Broomberg und Oliver Chanarin. Für ihre Arbeit »The Day Nobody Died« (2008), die »embedded« mit der Britischen Armee entstand, fotografierten sie nicht die zentralen Ereignisse, die Kriegsreporter*innen klassischerweise dokumentieren würden, sondern belichteten stattdessen jeweils ein Stück Fotopapier in der afghanischen Sonne. Ihre so entstandenen Fotogramme hinterfragen den Erkenntnisgewinn der sich wiederholenden, mitunter stereotypen und unter den eingeschränkten Bedingungen militärischer Kontrolle entstandenen Konfliktberichterstattung. Wie die meisten der hier genannten Ansätze finden die Arbeiten von Broomberg & Chanarin ihre Öffentlichkeit nicht in Tageszeitungen oder im Nachrichtenkontext, sondern in Galerien und Museen, auf Fotofestivals oder in Fotobüchern. Nichtsdestotrotz treffen diese künstlerisch-dokumentarischen Positionen relevante Aussagen über Ursachen, Hintergründe und Auswirkungen von Konflikten. Sie machen verborgene Machtmechanismen sichtbar und ermöglichen darüber hinaus die Reflexion und Kritik der fotojournalistischen Praxis.


Sophia Greiff
ist Mitherausgeberin des Bandes »Images in Conflict / Bilder im Konflikt« (Jonas Verlag, 2018) und schreibt ihre Dissertation über alternative Erzähl- und Darstellungsformen im aktuellen Fotojournalismus bei Prof. Dr. Steffen Siegel (Folkwang Universität der Künste). Sie ist seit 2016 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der FH Hannover und war von 2011–2017 Mitorganisatorin des Fotodoks Festivals für aktuelle Dokumentarfotografie in München.
www.sophiagreiff.de