Auszeichnung
UNICEF-Foto des Jahres 2019

Die Kinder, der Müll und der Tod

Das UNICEF-Foto des Jahres 2019 erzählt vom mutigen Überlebenskampf von Kindern angesichts gleich dreier Tragödien unserer Zeit: Armut, Umweltverschmutzung und Kinderarbeit. Auf den Philippinen porträtierte der Hamburger Fotojournalist Hartmut Schwarzbach die 13-jährige Wenie, die in einem Meer von Müll im Hafen von Manila Plastikreste aus dem Wasser fischt.

»Das UNICEF-Foto des Jahres erzeugt Nähe; Nähe zu Kindern, die sonst kaum jemand sieht. Es zeigt ihre Not – aber auch ihre Stärke, selbst unter den trostlosesten Bedingungen nicht aufzugeben«, erklärte Elke Büdenbender, Schirmherrin von UNICEF Deutschland, bei der Preisverleihung in Berlin. »Unsere Botschaft lautet: Kinder sind das Wertvollste, das wir haben. Wir alle tragen Verantwortung für ihr Leben und ihre Zukunft.«

»Das UNICEF-Foto des Jahres 2019 visualisiert auch 30 Jahre nach Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention die vielen Felder, auf denen aus einem schönen Traum noch Realität werden muss. Es ist ein Appell, globale Probleme nicht wegzureden. Von Armut und Ausbeutung, von Krieg und Flucht, von Hunger und mangelnden Bildungschancen sind Millionen von Kindern besonders brutal betroffen; und das gilt auch für die bereits zu spürenden Folgen des Klimawandels«, sagte Peter-Matthias Gaede, stellvertretender Vorsitzender von UNICEF Deutschland.

Das Siegerbild: Die Kinder, der Müll und der Tod

Nur Ratten gefällt es hier. Im Stadtteil Tondo am Hafen von Manila leben Kinder davon, Plastikflaschen aus der verdreckten Bucht zu fischen, um sie bei einem Müll-Recycler zu verkaufen. Wenn sie Glück haben, liegt ihr Tageslohn bei 50 philippinischen Pesos, 90 Cents. Kinderarbeit ist auch auf den Philippinen verboten, aber im Slum von Tondo, dem größten des Landes, ist das nicht mehr als ein unbeachtetes Gesetz. Hier, wo 70.000 Einwohner auf einem Quadratkilometer in Hütten aus Wellblech, Pappe und Restholz hausen, ohne Strom und Trinkwasseranschluss; wo Dengue und Durchfallerkrankungen, Leptospirose und Hautkrankheiten grassieren, wo Mangelernährung verbreitet und die Lebenserwartung niedrig ist, müssen auch Kinder ein bisschen Geld verdienen. Mädchen wie die 13-jährige Wenie Mahiya auf diesem Bild, aber auch schon Zehnjährige, Siebenjährige. Mitunter paddeln sie auf Bambusflößen oder Kühlschranktüren durch das Schmutzwasser der Bucht, ein vor allem in der Taifunzeit lebensgefährliches Unterfangen. Aber gestorben wird hier auch, wie Hartmut Schwarzbach erfahren musste, an Lebensmittelvergiftungen. Nackte Armut, Kinderarbeit und die Müllflut in den Meeren: Der Hamburger Fotograf dokumentiert in seinen eindringlichen Fotos von Tondo das Zusammentreffen gleich dreier Katastrophen.

Hartmut Schwarzbach, geboren 1956 in Elmshorn, hat an der Fachhochschule Dortmund Foto-Design mit dem Schwerpunkt Bildjournalismus studiert. Die Lebenssituation von Kindern in Asien und Afrika gehört seit bald 20 Jahren zu seinem vorrangigen Thema als Fotograf und Dokumentarfilmer. So hat Schwarzbach bereits im Auftrag vieler Hilfsorganisationen gearbeitet − mit Veröffentlichungen unter anderem in Spiegel, Stern und Focus. Bei internationalen Wettbewerben sind seine Reportagen mehrfach ausgezeichnet worden, zweimal auch bereits beim »UNICEF-Foto des Jahres«.

Auch der zweite und der dritte Preis fangen die Verletzlichkeit, aber auch die Stärke von Kindern angesichts bedrückender Lebensumstände ein.

Der australische Fotograf Andrew Quilty zeigt in einem an alte Meister erinnernden Familienporträt aus Afghanistan sieben Kinder – keines hat mehr beide Beine. Folgen der Explosion eines Blindgängers in ihrem abgelegenen Dorf. Foto: Andrew Quilty/VU
Der zweite Preis: Tapfer ohne Orden

Im Krieg verwundete Soldaten erhalten oft Tapferkeitsorden, verwundete Kinder, wenn sie Glück haben, Prothesen. Auf diesem verstörenden Porträtfoto: sieben afghanische Kinder aus einem abgelegenen Dorf im Distrikt Surkh Rod, die bei der Explosion eines Blindgängers schwer verletzt worden sind. Keines dieser Kinder hat mehr beide Beine; sie mussten mal unterhalb, mal oberhalb der Knie amputiert werden. Alle diese Kinder kommen aus einer einzigen Familie, haben ihre Mutter und eine Schwester sterben sehen. Die Kriege in Syrien, im Jemen haben Afghanistan in der internationalen Aufmerksamkeit an den Rand gedrängt, doch das Sterben auch in diesem Land geht weiter. 2018 sind allein über 1.400 Zivilisten bei der Explosion von Minen und anderen Hinterlassenschaften der Kampfhandlungen zwischen Taliban und Armee ums Leben gekommen, 87 Prozent davon Kinder. Vier Jahre alt ist Marwa, das jüngste Mädchen auf diesem Bild, zwölf Jahre alt ist Shafiqullah, der Junge im Hintergrund. Das Leid dieser vom australischen Fotografen Andrew Quilty begleiteten Kinder, ihre Trauma, das sie auf ihrem mühsamen Weg durch Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen tapfer bekämpfen, steht für alle jene Mädchen und Jungen, die zu den unschuldigsten Opfern bewaffneter Konflikte werden. Die Zahl offiziell registrierter schwerer Kinderrechtsverletzungen in Kriegs- und Krisengebieten hat sich seit 2010 verdreifacht.

Andrew Quilty, geboren 1981, hat 2004 das Sydney Institute of Tafe’s Photography Program als Jahrgangsbester absolviert. Er lebte einige Zeit in New York, bevor er 2013 nach Kabul gezogen ist. Aus 20 der 34 afghanischen Provinzen hat Quilty inzwischen berichtet. Zweimal wurden seine Foto-Reportagen mit einem World Press Photo Award ausgezeichnet, ausgestellt wurden sie unter anderem bei einem der weltweit wichtigsten Fotofestivals, dem »Visa pour L’Image« im französischen Perpignan.

Mit dem dritten Preis wurde die Reportage des spanischen Fotografen Antonio Aragón Renuncio über arbeitende Kinder in Goldminen in Burkina Faso ausgezeichnet. Foto: Antonio Aragón Renuncio
Der dritte Preis: In der Unterwelt

Die Erschöpfung ist ihm ins Gesicht geschrieben: Gold ist für diesen Jungen keine Verheißung, nur Plage. Es geht nicht um Nuggets, es geht um kleinste Körnchen, für die Männer, Frauen und auch viele Kinder Höhlen und Gänge in die Erde graben; hungernd, durstend, hustend, tags und nachts. Eine Unterwelt, die für Minenkonzerne längst als erschöpft gilt, für die Angehörigen des Volks der Mossi in Burkina Faso aber noch eine winzige Ernte birgt. Es geht hier auch für Kinder um harte körperliche Arbeit, nicht um gelegentliche Hilfe im Haushalt, nicht ums Zeitungsaustragen. Nach aktuellen Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) müssen weltweit noch immer 152 Millionen Jungen und Mädchen arbeiten, beraubt um ihre elementaren Rechte und Chancen. 73 Millionen von ihnen schuften zum Beispiel in Minen und Textilwerkstätten, auf Farmen und in Ziegeleien oder werden in Privathaushalten und in Bordellen ausgebeutet. Fast 25 Prozent von ihnen sind unter zwölf Jahre alt. Antonio Aragón Renuncio hat die Qual der Goldsucher-Kinder von Burkina Faso festgehalten – bis zu den Friedhöfen, auf denen viele von ihnen liegen.

Antonio Aragón Renuncio, geboren 1971, fotografiert professionell seit Mitte der 1990er Jahre. Er gründete die Fotografen-Gesellschaft »Nostromo«, arbeitete für verschiedene Nachrichten-Agenturen, organisiert Foto-Festivals und ist Präsident der von ihm gegründeten NGO »Oasis«, die medizinische Projekte in Westafrika unterstützt. Renuncio blickt auf über 100 Ausstellungen zurück und ist vielfach international ausgezeichnet worden. Er ist bereits Gewinner des »UNICEF-Foto des Jahres 2018« – und in diesem Jahr mit einer weiteren Arbeit vertreten, für die er eine ehrenvolle Erwähnung erhält.

»In diesem besonderen 20. Jubiläumsjahr des Fotowettbewerbs erreichten uns über 90 erstklassige Reportagen aus aller Welt. Die vielseitigen Erzählweisen der Fotografen, das Leben von Kindern und Kindheit künstlerisch, journalistisch und dokumentarisch einzufangen, waren herausragend«, erklärte der Vorsitzende der Jury, Prof. Klaus Honnef. »Die Bilder erzählen Geschichten, wie Texte es nur selten können.«

Neun weitere Reportagen hob die Jury mit ehrenvollen Erwähnungen hervor:

Anas Alkharboutli, Syrien (dpa), Reportage: Zu bunt, um wahr zu sein? (Syrien)
Antonio Aragón Renuncio, Spanien (Freier Fotograf), Reportage: Widerstand an der Kreidetafel (Burkina Faso)
Sang Moo Han, Südkorea (für UNICEF Korea/Seoul), Reportage: In der harten Schule des Lebens (Bangladesch)
Emilienne Malfatto, Frankreich (Freie Fotografin), Reportage: Fatma und Tiktum (Irak)
Roselena Ramistella, Italien (Freie Fotografin), Reportage: Next Generation (Europa)
Gregg Segal, USA (Freier Fotograf), Reportage: Was die Kinder essen (wenn sie zu essen haben)
Mohammad Shahnewaz Khan, Bangladesch (VOHH Institute), Reportage: Sterne, die nicht leuchten können (Bangladesch)
Matilde Simas, USA (Freie Fotografin), Reportage: Die Handelsware Mädchen (Philippinen)
Daniele Vita, Italien (Freier Fotograf), Reportage: Das Erbe der Mysterien (Italien)

20 Jahre UNICEF-Foto des Jahres

Zum 20. Mal zeichnet UNICEF Deutschland mit dem internationalen Wettbewerb »UNICEF-Foto des Jahres« Bilder und Reportagen professioneller Fotojournalisten aus, die die Persönlichkeit und die Lebensumstände von Kindern auf herausragende Weise dokumentieren. Voraussetzung für die Teilnahme ist die Nominierung durch einen international renommierten Fotografie-Experten. Eine Übersicht aller ausgezeichneten Fotoreportagen finden Sie auf www.unicef.de/foto.