Zerstörung des Labors zu Gunsten des Experiments
Die Ausstellung »Zerstörung des Labors zu Gunsten des Experiments« stellt Auszüge aus Werkserien vor, an denen die beteiligten Fotograf*innen in den vergangenen zwei Jahren gearbeitet, und über die sie sich als Gruppe in Gesprächen und Bilderschauen ausgetauscht haben. Der Titel spielt auf die Fragilität der gegebenen Situation an, aber auch auf den Mut, sich der Konstruiertheit von Realität künstlerisch zu nähern: Es werden Widersprüche thematisiert, die zwischen der Fassade und dem Inhalt / der Oberfläche und der Bedeutung aufbrechen, die Selbstbild, Fremdbild und das Abbild der Realität in Frage stellen.
In zehn unterschiedlichen Positionen zeigt sich einmal mehr die Lebendigkeit der Fotografie und ihre Fähigkeit, ganz gegenwärtig auf Herausforderungen zur reagieren und den Betrachter dazu aufzufordern, hinter die Oberfläche zu schauen. Im Rahmen der Triennale der Photographie »Currency« 2022 stellt die Ausstellung die Frage, welche Bilder für die Zukunft relevant sein werden. Mit der Zerstörung des Labors werden Rahmenbedingungen, Rezeptionsformen und Produktion unserer gängigen Abbildstrategien auf die Probe gestellt.
Peter Bialobrzeski
#farewelltocityhof
Die Werkserie dokumentiert den, unter fragwürdigen Umständen genehmigten Abriss des Cityhofensembles in Hamburg. Die vier weithin sichtbaren Hochhausscheiben (Fertigstellung 1958) waren denkmalgeschützt und galten als ein Meisterwerk der architektonischen Spätmoderne. Die Bilder entstanden zwischen Juli 2018 und April 2020.
Peter Bialobrzeski (* 1961) rückt in seinen Werkserien urbane und soziale Aspekte von Stadtlandschaften rund um die Welt in den Fokus.
Klaus Elle
Das Mysterium des Informationsspeicher
»In Alltag und sozialen Medien herrscht ein unvorstellbarer Überfluss an Bildern, zugleich erleben wir den inflationären Verfall unserer Wertvorstellungen. Gibt es noch verbindliche Bildmedien zur Annäherung an die Wahrheit? Wie schützen wir uns vor visuellen Spekulanten? Und was tun die vielen Fotograf*innen, wenn sie kaum noch Zinsen von den Bilddatenbanken bekommen?« Für Klaus Elle ist Fotografie Kunst, Informationsspeicher und Rohstoff, aus dem er seine medienreflektiven Werke schafft.
Klaus Elle (* 1954) arbeitet im Grenzgebiet von Fotografie, Malerei und Installation und setzt sich visuell mit Selbstbild und gesellschaftlichen Prägungen auseinander.
Florian Geiss
Was bleibt?
Während wir noch diskutieren, nachdenken und abwägen, geschieht es längst: das Klima ändert sich. Während wir noch zögern, sterben Tierarten aus, ächzt die Pflanzenwelt unter Temperaturanstieg, Trockenheit und Überschwemmungen. Was bleibt? ist ein multimediales Projekt, in dem die junge Generation zu Wort kommt, sich direkt äußert und an den Betrachter wendet: mit Gedanken zur Natur und zu notwendigen Veränderungen, um diese in ihrer Schönheit und als Lebensgrundlage erhalten zu können.
Florian Geiss (* 1969) fügt Fotografie und Film zu poetischen Bildfolgen in Fotobuch und -installation zusammen.
Jörg Gläscher
C_19_18
»Eine Welle ist eine periodische Schwingung oder eine einmalige Störung, die den Zustand eines Systems verändert.«
Wahrnehmungen sind individuell, nicht direkt übertragbar und können auf verschiedene Arten erlebt werden, ein wahrgenommenes Objekt kann unterschiedlich wirken. Steht es still? Hat es sich bewegt? Nichts ist nur so, wie es scheint. Trügt also der Schein? Nein, er trügt nicht, er nimmt mich mit auf eine Reise, überspült mich, wirbelt mich herum, läßt mich ängstlich werden, zieht sich zurück, um dann mit neuem Anlauf wieder auf mich zuzurasen.
Jörg Gläscher (* 1966) erfasst mit kritischem Blick auch gesellschaftlich heikle Themen abseits konventioneller Bildberichterstattung.
Andreas Herzau
»No Money, no Friends«
Die Werkserie ist der persönliche Paradigmenwechsel eines Fotografen, der während der Bürgerkriege der 1990er und 2000er Jahre in Liberia fotografiert hat und nun mit dem Wunsch zurückgekehrt ist, das Leben in Monrovia in seiner Vielfalt zu zeigen. Die Fotoarbeit aus dem Jahr 2020 ist damit auch eine Auseinandersetzung mit dem Blick auf Afrika am Beispiel von Liberia, ein Essay, der sich der zementierenden Wirkung einseitiger Opferberichterstattung entgegenstellt und sich dem Stereotyp des europäischen Afrikabildes entzieht.
Andreas Herzau (* 1962) schafft situative Aufnahmen und erzählerische Werkserien, deren Ästhetik durch den dynamischen Einsatz von Ausschnitt und Anschnitt geprägt sind.
Pepa Hristova
Tapet
Wo gehören wir in der natürlichen Ordnung hin? Wie zerbrechlich ist unser Menschsein? In einem Langzeitprojekt bildet die Fotografin sich selbst mit ihrem zu Beginn der Corona-Pandemie geborenen Kind alle sechs Monate ab. Die Rolle der Zeit wird aus zwei Perspektiven betrachtet. Im Lauf der Jahre wird einerseits die ganz persönliche Mutter-Kind-Beziehung sichtbar und andererseits das Zeitgeschehen metaphorisch reflektiert. Eine Zusammenarbeit mit Anja Pohlmann.
Pepa Hristova (* 1977) wird von ihrer Faszination für die gebrochene Schönheit des Ostens und ihrem Interesse an sozialen Phänomenen und archaischen Traditionen angetrieben.
Julia Knop
Charlie – A Woman
In dieser Langzeitreportage porträtiere ich seit 2016 Charlie, Psychiaterin in Boston. Noch vor wenigen Jahren lebte sie als Mann, bevor sie ihrem lebenslangen Wunsch nachgab, als Frau mit dem Körper einer Frau zu leben und mit einer geschlechtsumwandelnden Operation schließlich Tatsachen schuf. Ich folge ihr fotografisch in allen Bereichen ihres Alltags: ihrem morgendlichen Zurechtmachen, ihrem täglichen Leben in einem Vorort von Boston, ihrer Arbeit und ihren Treffen mit der Familie.
Julia Knop (* 1977) setzt mit ihren Fotografien den Menschen in Relation zu seinem Umfeld, in ihren Werkserien transportiert sie die Atmosphäre der Situation.
Henrik Spohler
Flatlands
Das Projekt untersucht mit dokumentarischen Fotografien und einer subjektiven Sicht die ländlichen Räume der Niederlande – jenes Landes in dem die Bildgattung des Landschaftsbildes im 17. Jahrhundert maßgeblich entwickelt wurde. Wie aber lässt sich eine moderne Kulturlandschaft mit ihren komplexen historischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bezügen lesen und darstellen?
Henrik Spohler (* 1965) setzt mit konzeptuell angelegten Werkserien grundlegende Themen der globalisierten Welt konzentriert ins Bild.
Ruth Stoltenberg
Vis-à-vis
Die Fotoserie entstand während des strengen Lockdowns in Deutschland und gewährt nächtliche Blicke in die von der Außenwelt isolierten Häuser und auf ihre Bewohner. Die Bildschirme elektronischer Kommunikationsmittel leuchten blau hinter den geschlossenen Fenstern, liefern Informationen und erlauben den Kontakt mit der Außenwelt.
Ruth Stoltenberg (* 1962) kam vom Film zur Fotografie und hat ihren Ausdruck in grafisch aufgelösten Motiven gefunden, die zugleich thematisch aussagekräftig sind.
Aleksandra Weber
Madonna
Mit den Arbeiten aus der Werkserie »Madonna« dokumentiert die Fotografin Aleksandra Weber im Bremer Stadtteil Blumenthal ihre Begegnungen mit den Menschen. Dabei entstehen eindringliche Porträts im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft. Wie fühlt es sich an, was macht es mit den Menschen, hier zuhause zu sein? Diese Fragen stellen wir, die Betrachter*innen der Bilder, uns, und Aleksandra Weber gibt einige Antworten in ihren Fotografien – wir müssen nur genau genug hinschauen.
Aleksandra Weber (* 1984) entrückt mit ihren Porträts die Menschen für einen Moment aus ihrem Alltag und stellt sie den Betrachter*innen ganz gegenwärtig gegenüber.
Die Gruppenausstellung »Zerstörung des Labors zu Gunsten des Experiments« im ORT Design Zentrum Hamburg findet im Rahmen der diesjährigen Triennale Expanded statt und wird am 2. Juni von 18 bis 20 Uhr eröffnet. Die Ausstellung läuft vom bis zum 8. Juni 2022. Im Rahmenprogramm finden regelmäßig Artist Talks statt, die Termine sind unter www.design-zentrum-hamburg.de zu finden.
ORT Design Zentrum Hamburg
Hongkongstraße 8, 20457 Hamburg
www.design-zentrum-hamburg.de
Öffnungszeiten
Täglich von 11 bis 20 Uhr
Eintritt frei