Ausstellung
World Press Photo in Oldenburg

Der dokumentarische Impuls

16. Februar - 11. März 2018

TEXT – KAY MICHALAK

Vorbei an Homer geht es die beindruckenden Treppen ins oberste Stockwerk des Oldenburger Schlosses hoch ins Dachgeschoss, in dem seit Freitag zum dritten Mal eine World Press Photo-Ausstellung gezeigt wird. Zwei Tage zuvor wurden die Bilderkisten unter Aufsicht der beiden Kuratorinnen Carla Evelyn Vlaun und Sanne Schim van der Loeff geöffnet, 150 Fotos an Fäden aufgehängt. Freitagmittag war alles picobello – das war sicher nicht einfach und spricht für ein organisiertes Team im Kampf mit der Wasserwaage. Die Ausstellung wurde 16 Mal produziert und wird an mehr als 100 Orten auf der Welt gezeigt.

Das Lieblingsbild der Kuratorin Carla Evelyn Vlaun zeigt die 27-jährige Iesha Evans, die sich, gehüllt in ein wunderschönes, luftiges Kleid, der Polizei entgegenstellt. Evans demonstriert gegen Polizeigewalt an Afroamerikanern in Baton Rouge, Louisiana. Sie erscheint in dieser Szene mit einer so friedfertigen Ruhe und einem Stolz, dass auch mich das Foto von Jonathan Bachman beeindruckt hat.

Foto: Kay Michalak
Foto: Kay Michalak

Für den Titel des Kataloges wurde ein Bild gewählt, welches den triumphierenden Attentäter zeigt, nachdem er den russischen Botschafters Karlow in einer Kunstgalerie in Ankara niedergeschossen hat. Burhan Ozbilici, der seine Fototasche und sein Laptop immer dabei hat, war, wie alle anderen, zufällig in diese grausame Szenerie geraten und hatte den Mut, eine Fotoserie zu machen. Für die Kuratorin ein Gesicht des Hasses, welcher uns auf diesem Bild entgegenschlägt.

Um der Inszenierung des Täters auf diesem Foto aus der Kategorie »Harte Fakten« nicht allzu viel Raum zu geben, erscheint auf dem Plakat ein anderes Motiv: Eine ohnehin schon weltweit bedrohte Unechte Karettschildkröte, die uns in den fröhlichsten Farben empfängt, ist hoffnungslos verstrickt in die Reste eines Fischernetzes. »Wenn ich ein Foto von einer Schildkröte dieser Art hinbekommen will, muss ich im Wasser treiben, darf mich nicht bewegen. Eher muss ich aussehen wie ein Stück Holz oder eben Müll. Augenkontakt mag dieses Tier auch nicht gern, deshalb halte ich das Gehäuse vors Gesicht und hoffe auf seine Neugierde. Sofort habe ich bemerkt, das Tier ist in größter Not, aber der dokumentarische Impuls stand an erster Stelle. Wir konnten das Netz unter Wasser entfernen, die Schildkröte war zum Glück nicht weiter schlimm verletzt«, berichtet der Fotograf und Taucher Francis Perez.

Es gibt auch hoffnungsvolle Beiträge aus der Naturfotografie und welche zum Schmunzeln. Ein Kriterium für die Bilder in diesem Wettbewerb sind immer Bezüge zu aktuellen Konflikten und Katastrophen. Auf die Verschmutzung der Meere kann nicht häufig genug aufmerksam gemacht werden.

Walid Mashadis Bilder sind nicht in der Ausstellung zu sehen. Sie zeigen Retter und Freiwillige, die Babys aus den Trümmern von Aleppo bergen – eine erschütternde, entsetzliche Szenerie. Ein Bild dieser Serie ist im Katalog zu sehen, in der Ausstellung wurde auf sie verzichtet, da auch Schulklassen zu Besuch kommen.

Foto: Kay Michalak
Foto: Kay Michalak

Unter den Reportagen finden sich auch stille, fast poetische Beiträge. In einfühlsamen Aufnahmen zeigt Francesco Comello Ausschnitte aus dem Zusammenleben einer abgeschiedenen, spirituellen Gemeinschaft nordöstlich von Moskau. Die Menschen dort leben ohne Geld, Internet und Fernsehen. Eine träumerische Stille zeigt sich in den Schwarzweiß-Aufnahmen.

Ich persönlich wünschte mir mehr Themen, die auf die Auswirkungen unseres eigenen Handelns aufmerksam machen, wie es das Foto der geretteten Schildkröte symbolisiert. Wie groß die Anstrengungen und Bemühungen um Frieden sein müssen und dass es sinnvoll ist, dass Fotograf*innen auf Konflikte, Ungerechtigkeiten und die Dramen dieser Welt aufmerksam machen und Handeln gefragt ist, zeigt die Ausstellung eindrucksvoll.

Die Beiträge zum Digital Storytelling werden in einem eigenen Raum präsentiert und es lohnt sich, diesen Geschichten Zeit zu schenken. Zwölf Beiträge in vier Kategorien machen deutlich, wie vielfältig die Möglichkeiten in diesem Medium sind. Der Beitrag »The Injustice System«, ein Guardian Special Report von Ed Pilkington und Laurence Mathieu-Léger, berichtet über die Afroamerikanerin Tyra Patterson, die seit 23 Jahren in den USA in Haft sitzt und für den Beweis ihrer Unschuld kämpft. Fotos, Videos, Interviews und Skizzen vom Tathergang lassen uns eintauchen in ein Schicksal von vielen dieser Art, sehr informativ und ansprechend aufbereitet, Scrollytelling von Feinsten.

Besonders bewegt hat mich eine Geschichte aus der Kategorie Long Form, Beiträge aus Mixed Media, die als Filme in einer Länge von bis zu dreißig Minuten daherkommen, ohne Interaktionsmöglichkeit des Betrachters. »The Forger« ist ein Beitrag für die New York Times, inspiriert durch den Roman »Adolfo Kaminski, A Forger’s Life« von der Tochter Sarah Kaminski und erzählt in einer Mischung aus Silhouetten-Animationen und aktuellen Aufnahmen die Geschichte des heute 91-Jährigen, der in seinem Leben tausenden von Menschen durch gefälschte Dokumente zur Flucht verholfen hat – begonnen im Paris der Vierziger. Nach dem Krieg arbeitete er weiter für politisch Verfolgte und Illegale. Ein sehr bewegender Beitrag mit wundervollen Animationen der Manual Cinema Studios.

Foto: Kay Michalak
Foto: Kay Michalak

Einzig die Gestaltung des Raumes für diese Beiträge ist etwas unglücklich, da die Bestuhlung eher zu einer Vorführung als zum aktiven Beschäftigen und Eindringen in die Beiträge einlädt. Hier wären vielleicht kleine Sitzinseln mit eigenen Monitoren sinnvoller gewesen, auf denen man in Ruhe und mit anderen Besuchern die Beiträge verfolgen kann. Aber der Kraft und den innovativen Erzählformen sollte man sich unbedingt widmen.

Die Zahlen sprechen für die Ausstellung, das Konzept und den Ort: 15.800 Besucher kamen im zweiten Jahr, diese Zahl wollen die Veranstalter diesmal knacken. Und im bis auf den letzten Platz gefüllten Festsaal am Abend konnte der Ideengeber Claus Spitzer-Ewersmann dann auch noch von Deniz Yücels Freilassung berichten – große Erleichterung und Beifall.

World Press Photo Exhibition 2017 Oldenburg
16. Februar bis 11. März 2018
Die Ausstellung ist eine Veranstaltung der MEDIAVANTI GmbH in Kooperation mit der World Press Foundation, der Stadt Oldenburg und dem Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg und wird durch ein umfangreiches Rahmenprogramm begleitet.
www.worldpressphoto-ol.de